Schritt für Schritt durch die Dirty-Campaigning-Affäre

Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ)
Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ)APA/HANS PUNZ
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In fünf Minuten informiert: Wann begann die Pannenserie der SPÖ? Wer ist Tal Silberstein? Was war da auf Facebook? Und welche Baustellen hat Kanzler Kern noch?

Das Jahr 2017 verläuft so gar nicht nach dem Geschmack der SPÖ: In den Umfragen liegt die ÖVP klar voran, die rote Performance (nicht nur im Wahlkampf) verläuft hingegen pannenreich und nun hat die Partei auch noch der Schatten Tal Silbersteins (wieder einmal) eingeholt. Grund genug, schon mal den Überblick zu verlieren. Ein Überblick über die wichtigsten Wendungen.

Im Mai 2016 übernahm Christian Kern das Amt des Bundeskanzlers und SPÖ-Vorsitzenden. Mit flotten Sprüchen, Slim-Fit-Anzügen und einem rundum-erneuerten Team voller Neu- und Quereinsteiger. Doch der smarte ÖBB-Manager musste bald lernen, wie rau das politische Parkett ist und wie schnell ein Fehler publik wird. So vertat sich Kern beim damals besonders heiklen Begriff Flüchtlingsobergrenze und lancierte eine parteiinterne Anti-Ceta-Umfrage, um dann erst recht das Handelsabkommen abzusegnen. Ebenfalls einen Rückzieher musste der Kanzler machen, als er zunächst die Aufnahme jugendlicher Flüchtlinge blockieren wollte.

Im Jänner 2017 tauchten erstmals Dirty-Campaigning-Vorwürfe gegen die SPÖ auf. Der international tätige Experte für Negativ-Kampagnen, Tal Silberstein, soll für die SPÖ Vergangenheit und Privatleben von ÖVP-Spitzenkandidat Sebastian Kurz durchleuchten, hieß es. Kern nannte die Vorwürfe „an den Haaren herbeigezogener Unfug“. Die Volkspartei ließ nicht locker: Im März pochte sie per parlamentarischer Anfrage auf Antworten auf die Frage, ob dem Kanzleramt Kosten für Silberstein entstanden seien. Der Regierungschef erklärte, Silberstein sei für die SPÖ tätig, nicht für den Kanzler.

Andere Baustelle, Panne die nächste: Nach dem Rücktritt Reinhold Mitterlehners wollte Kern im Mai Neo-ÖVP-Obmann Sebastian Kurz die Vizekanzlerschaft aufzwingen – und scheiterte damit.

Zurück zur Schmützkübel-Causa: Im Juli schoss sich auch die FPÖ auf die SPÖ und Silberstein ein. Sie vermutete ihn hinter verschiedenen roten Aktivitäten gegen die Blauen, auch die ÖVP hielt ihre Kritik aufrecht und verwies etwa auf die Facebook-Seite „Wir für Sebastian Kurz“. Die SPÖ wies die Vorwürfe zurück – und verlor kurz darauf ihren Kampagnenmanager Stefan Sengl. Nach kolportierten Auseinandersetzungen mit Silberstein warf er das Handtuch.

Nicht sonderlich erbaulich verlief Anfang August die rote Plakatpräsentation. Der Wahlslogan „Holen Sie sich, was Ihnen zusteht“ stieß mehr auf Kritik, denn auf Applaus – und sorge insbesondere in den sozialen Netzwerken für Häme.

Am 14. August beendete die SPÖ die Zusammenarbeit mit Silberstein. „Wir haben ihn gefeuert“, so der O-Ton von Kern, der zugleich einräumt, dass dessen Engagement für die Partei ein Fehler gewesen sei. Der Hintergrund: Silberstein wurde im Zusammenhang mit Korruptions- und Geldwäschevorwürfen gegen einen seiner Geschäftspartner in Israel vorübergehend festgenommen. Silbersteins Rolle wurde klein gespielt: Er habe nur Fokus-Gruppen und Umfragen für die SPÖ betreut und erstellt.

Tal Silberstein bei der Verhaftung in Israel
Tal Silberstein bei der Verhaftung in Israel APA/AFP/JACK GUEZ

Anfang September die nächsten Negativ-Schlagzeilen: Das Regierungsviertel sollte Mauerblöcke zum Schutz gegen Terror-Angriffe bekommen. Die Bauarbeiten sorgten für einen Aufschrei, woraufhin Kanzleramtsminister Thomas Drozda im Auftrag von Kern den Stopp des „Mauerbaus“ verkündete. Pikant: Niemand wollte zunächst von den Bauplänen gewusst haben, so auch der Kanzler – obgleich das Kanzleramt den Auftrag zur Mauererrichtung gegeben hatte.

Es kam noch dicker: Ebenfalls Anfang September tauchten erste Unterlagen Silbersteins aus dem Wahlkampf auf. Demnach hatte die SPÖ mehrere Anti-Kurz-Videos produzieren lassen. Eines davon wurde auf der Seite „Die Wahrheit über Sebastian Kurz“ gespielt. SPÖ-Wahlkampfleiter Georg Niedermühlbichler beteuerte, die Videos seien „nicht direkt" von der Partei beauftragt worden.

Am 21. September berichtete die Tageszeitung „Österreich“ über eine Analyse der Kampagnenfähigkeit der SPÖ. Diese hatte sich Silberstein demnach im Februar von einem SPÖ-Insider schicken lassen. Darin befanden sich wenig schmeichelhafte Worte über Kern. Kleine Kostprobe: „Ein wesentliches Problem ist die Sprunghaftigkeit des Kanzlers.“ Letzterer verhängte daraufhin einen Inserate- und Interviewstopp über das Medium.

Am 30. September berichtete die „Presse", dass ein von Silberstein engagiertes Team für die SPÖ-Kampagne Pro- und Anti-Kurz-Facebookseiten organisiert hat. Die Seite „Die Wahrheit über Sebastian Kurz" und „Wir für Sebastian Kurz" wurden demnach im Auftrag Silbersteins bzw. der SPÖ produziert. Teilweise wurden dort antisemitische und rassistische Inhalte veröffentlicht. Niedermühlbichler trat daraufhin als Bundesgeschäftsführer und Wahlkampfleiter zurück - betonte aber, nichts von derartigen Vorgehensweisen gewusst zu haben.

Das Team von SPÖ Ex-Berater Tal Silberstein betreibt die Facebookseite "Die Wahrheit über Sebastian Kurz"
Das Team von SPÖ Ex-Berater Tal Silberstein betreibt die Facebookseite "Die Wahrheit über Sebastian Kurz"(c) Screenshot: Facebook

Am 1. Oktober verkündete Kanzler Kern, er wisse von den Vorkommnissen nichts. Zugleich verkündete er, dass eine Task-Force unter der Leitung des Nationalratsabgeordneten Christoph Matznetter eingesetzt werden solle, die die Vorfälle aufklären soll.

Am 3. Oktobermeldete sich Silberstein gegenüber dem Magazin „News" zu Wort. Kern sei in seine Facebook-Aktionen nicht eingeweiht gewesen. Und er ergänzte, dass er die Dirty-Campaigning-Spezialeinheit aus Teilen seines SPÖ-Beraterhonorars finanziert habe, das rund 400.000 Euro betragen soll. Kurz zuvor gab die SPÖ bekannt, Anzeigen gegen Unbekannt sowie eine Sachverhaltsdarstellung eingebracht zu haben, um herauszufinden, wer hinter den Facebook-Seiten (die nach Erscheinen des „Presse“-Berichts offline gingen) steht.

Wenige Stunden später fand „Presse" heraus, dass Paul Pöchhacker aus dem roten Wahlkampfteam nach der Trennung von Silberstein, die Truppe beauftragt habe, an den Schmutzkübelaktionen gegen Kurz weiterzuarbeiten. In einem Chat-Forum soll das SPÖ-Kampagnenmitglied die Truppe um Silberstein-Mitarbeiter Peter Puller angewiesen haben, die Facebook-Seiten weiterzubetreiben, da sonst ein Konnex zum Silberstein-Rauswurf entstehen und der Verdacht der Urheberschaft auf die SPÖ gelenkt werden könnte. Pöchhacker wurde nach Erscheinen des „Presse"-Berichtes von seinen SPÖ-Funktionen suspendiert.

Tags darauf, am 4. Oktober, meldete die niederösterreichische Volkspartei einen weiteren Verdacht an. Sie vermutet, dass Silberstein auch im größten Bundesland Schmutzkübelkampagnen betrieben hat.

Der Leiter der von Kern eingesetzten Task-Force, Christoph Matznetter, ortete Matznetter in einer Kooperation zwischen dem Silberstein-Mitarbeiter Peter Puller, der in der Vergangenheit auch für die ÖVP und die Neos tätig war, und dem Kurz-Kandidaten Efgani Dönmez, für dessen Verein „Stop Extremism“ Puller arbeitete. Dönmez wies die Vorwürfe zurück. Dass Puller für Silberstein tätig war, habe er im Nachhinein erfahren.

Am 5. Oktober legte Matznetter die SPÖ-Vereinbarung mit Silberstein offen. Demnach hat die Partei Silberstein 536.000 Euro bezahlt. Allerdings: Die Facebook-Kampagne war kein Gegenstand der Verträge, so der Task-Force-Leiter. 131.250 Euro will man zurückfordern. Am selben Abend führte die „Presse" ein Interview mit Peter Puller, jenem Mann hinter den Anti-Kurz-Facebook-Seiten. Brisant: „Ich bekam im Juli von der ÖVP, genauer vom Büro von Sebastian Kurz, 100.000 Euro angeboten, wenn ich die Seiten wechsle“, sagte Puller und betonte, nicht auf das Angebot eingegangen zu sein - für andere könne er das nicht ausschließen.

Am 6. Oktober veröffentlichte die Volkspartei ein Gedächtnisprotokoll eines Sprechers von Sebastian Kurz. darin bestreitet dieser, Puller je 100.000 Euro für Informationen über die SPÖ angeboten zu haben - räumt aber ein: "Ja, ich wollte ihn überreden doch wieder für uns aktiv zu sein." Kanzler Kern zeigte sich entsetzt, die ÖVP kündigte Klagen gegen Puller und SPÖ an. Kurz darauf (es ist immer noch Vormittag), forderte Matznetter in einer Pressekonferenz ÖVP-Chef Kurz zum Rücktritt als Außenminister auf. Der nächste Schlag: Das Magazin "profil" legte auf seiner Website die SMS-Korrespondenz zwischen Puller und besagtem Kurz-Sprecher vor. Letzterer ortete daraufhin eine Verdrehung der Tatsachen.

Am 7. Oktober berichtete Krone.at über eine angebliche Informationsquelle in der Dirty Campaigning-Affäre. Rudi Fußi, in den vergangenen Monaten als Redenschreiber und Berater für Bundeskanzler und SPÖ-Chef Christian Kern tätig, soll die angebliche Informantin mit WhatsApp-Nachrichten unter Druck gesetzt und ihr "Schweigegeld" angeboten haben. Die SPÖ sieht eine Dolmetscherin des gefeuerten Beraters Tal Silberstein als mögliche Quelle. In Nachrichten an die Frau erklärte Fußi laut dem "Krone"-Bericht etwa: "Meine privaten Mails liegen bei denen. Warum hast denen alles gegeben?" Zugleich betonte Fußi, dass er dafür sorgen könne, dass ihr rechtlich nichts passiert: "Aber nicht mehr lange. Geh in dich, Mensch, ck hat das nicht verdient", verteidigt Fußi Christian Kern.

Am 8. Oktober forderte Sebastian Kurz in der ORF-Pressestunde die Einführung eines Straftatbestands "Dirty Campaigning". Er schloss außerdem aus, dass er Informationen über die SPÖ-Wahlkampagne erhalten oder dafür bezahlt hat: "Ich interessiere mich nicht für die SPÖ-Kampagne." Zu dem von Kurz vorgeschlagenen Straftatbestand zu Dirty Campaigning wollte sich SPÖ-Chef Christian Kern nicht konkret äußern.

Am 9. Oktober zitierte die "Presse" aus Chat-Protokollen, die darauf hinweisen könnten, dass der ÖVP-Kandidat Efgani Dönmez mit seinem Verein Stop Extremism die Anliegen der Saudis unterstütze. Dönmez versprach demzufolge auch, seine politischen Kontakte zu nutzen – etwa zu versuchen, in Ministerien zu intervenieren. Am 10. Oktober wehrt sich Dönmez im Interview mit der "Presse" gegen den erhobenen Vorwurf, im Sinne Saudiarabiens Stimmung gegen Katar, die Türkei und die Muslimbrüder gemacht zu haben. 

Nationalratswahl 2017

Die Nationalratswahl findet am 15. Oktober 2017 statt. Bundesweit treten zehn Listen an: SPÖ, ÖVP, FPÖ, Grüne, Neos, Liste Pilz, Weiße, FLÖ, KPÖ PLUS, GILT.

Wahlprogramme: Was fordern die im Nationalrat vertretenen Parteien? Die Wahlprogramme von SPÖ, ÖVP, FPÖ, Grüne und Neos im Überblick.

TV-Duelle und Chats: ORF und Privatsender veranstalten TV-Duelle. Die „Presse“ lädt alle Spitzenkandidaten der bundesweit antretenden Parteien zu Live-Chats: TV-Duelle und Chat-Termine im Überblick.

„Presse“-Services zur Wahl:Rainer Nowaks Wahlbriefing täglich um 7 Uhr in Ihrer Mailbox; WhatsApp-Service; SMS-Service.

(hell)

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