Sebastian Kurz will die Einführung einer „Richtlinienkompetenz“ für den Bundeskanzler. Doch die würde in der Praxis nicht viel ändern, wie das Beispiel Deutschland zeigt.
Wien. Wolfgang Sobotka beweist erstaunliche Flexibilität. Er sei für eine Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers, um „Veränderungswillen durchzubringen“, sagte er am Samstag und unterstützte damit den Vorstoß seines Parteichefs Sebastian Kurz, der mehr Macht für den Kanzler will. Im Vorjahr noch hatte er denselben Vorschlag der SPÖ brüsk zurückgewiesen: „Das kommt für uns nicht in Frage“, sagte Sobotka damals. Es kommt eben darauf an, wer den Kanzler stellt, und ob man sich Chancen ausrechnet, dies bald selbst zu tun.
Aber braucht der Bundeskanzler auch mehr Macht? Rein formal befindet sich der Regierungschef in Österreich in einer schwachen Position. Eigene Kompetenzen hat er nur wenige, und die sind in der derzeitigen Konstellation an den Kanzleramtsminister ausgelagert. Und den anderen Ministern etwas anschaffen kann er eigentlich nicht: Diese agieren in ihrer Ministerverantwortung im Ministerium unabhängig.
Ministerkarrieren beenden
Dem Bundeskanzler bleibt eine Koordinierungsfunktion: Er leitet die Regierungssitzungen und entscheidet dort über die Tagesordnung. Das bedeutet: Erst für einen Ministerratsbeschluss benötigen die Ressortchefs die Unterstützung des Bundeskanzlers – und aller anderen Minister, denn die Beschlüsse werden einstimmig gefasst. Der Kanzler hat aber ein ultimatives Druckmittel in der Hand: Er bestellt nicht nur die Minister, sondern er kann eine Ministerkarriere auch jederzeit beenden – er schlägt dem Bundespräsidenten die Entlassung vor. Das kann er jederzeit und ohne Angabe von Gründen machen.
In Deutschland dagegen gibt es eine Richtlinienkompetenz: „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung“, heißt es in der Verfassung. Allerdings handelt es sich auch dort um ein zahnloses Instrument. Denn ein Weisungsrecht der Kanzlerin gegenüber ihren Ministerkollegen gibt es auch in Deutschland nicht. Und die Verfassung hält auch ausdrücklich fest, dass jeder Minister seinen Geschäftsbereich „selbstständig und unter eigener Verantwortung“ leitet.
Politische Machtverhältnisse
Und so ist auch in Österreich die Frage, ob eine Richtlinienkompetenz real etwas ändern würde, umstritten. Für den Verfassungsrechtler Heinz Mayer ist die Frage der Durchsetzbarkeit der Linie des Kanzlers eine Frage der politischen Machtverhältnisse. „Wenn man eine Richtlinienkompetenz einsetzen möchte, wird sich nichts ändern.“
Sprich: Ein Regierungschef muss ohnehin in der Lage sein, seine politischen Vorstellungen durchzubringen. Wenn das nicht der Fall sein sollte, bringt auch ein Weisungsrecht wenig. Denn wenn er beginnt, einem Minister des Koalitionspartners Vorschriften zu machen, wird das mit einiger Sicherheit rasch die Koalition beenden. Und bei den Ministern der eigenen Partei muss sich ein Bundeskanzler auch ohne formales Durchgriffsrecht durchsetzen können.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2017)