Im Jahr 1943 kämpften ausgemergelte Warschauer Ghetto-Bewohner 29 Tage lang gegen eine Übermacht der SS.
30.12.2016 um 21:18
Das war von Anfang an ein verlorener Kampf“, sagt Marek Edelmann, einer der Gründer der Jüdischen Kampf-Organisation (ZOB). 29 Tage lang kämpfte ZOB und ihre ebenso schlecht bewaffneten Kameraden des Bundes Jüdischer Soldaten (ZZW) gegen die schwer bewaffneten SS-Truppen, die rechtzeitig zu Hitlers Geburtstag das Warschauer Ghetto liquidieren sollten. „Wir hatten eine große, kindliche Fantasie“, erklärte Edelmann, einer der Anführer des Ghetto-Aufstandes, ein paar Jahre vor seinem Tod im persönlichen Gespräch. „Wer wie ich 21 Jahre alt war, war schon ein alter Mann“, meinte er.(Text: Paul Flückiger)
(c) David Silverman / Reuters
Die jungen jüdischen Aufständischen hatten sich monatelang auf diesen Akt des Widerstands vorbereitet. Bereits Ende Juli 1942 war die ZOB von mehreren zionistischen und sozialistischen Jugendorganisationen als Reaktion auf die geplante Liquidierung der Ghettos im Generalgouvernement („Aktion Reinhard“) gegründet worden. Rund 60.000 Menschen von einst von über 400.000 lebten im April 1943 noch im Ghetto.
Bundesarchiv, Bild 101I-134-0791-29A / Knobloch, Ludwig / CC-BY-SA
Die jüdischen Freiwilligen hatten in den Monaten zuvor Kontakt mit dem polnischen Untergrund, vor allem der Heimatarmee (AK) sowie linken Widerstandsbewegungen aufgenommen und damit begonnen, Waffen von der sogenannten arischen Seite her ins Ghetto zu schmuggeln. Dabei sei vor allem die Liebe zum Geld unter den deutschen Polizeikräften ausgenutzt worden, erinnerte sich Edelmann: „Für Geld konnte man alles kaufen“. Ab Herbst 1942 wurden heimlich Bunker und Tunnels angelegt, ZOB und ZZW richteten in Dachböden Widerstandsnester ein, von denen aus die Nazis überraschend beschossen werden sollten. Zu einer ersten bewaffneten Aktion kam es Ende Jänner 1942. Die überraschten SS-Truppen legten die Liquidierung des Ghettos für einige Tage aufs Eis. Die ZOB verteilte Flugblätter: „Wir müssen bereit sein für den Widerstand! Wir können uns nicht wie Schafe auf die Schlachtbank führen lassen!“
Am 19. April 1943, am Vorabend des jüdischen Pesachfests, wollten rund 850 SS-Soldaten zur letzten großen Deportation im Ghetto schreiten. Rund 60.000 von Hunger und Krankheiten gezeichnete Juden lebten noch in dem Bezirk, der bereits im November 1940 mit einer streng bewachten Mauer umgeben worden war. In der Nalewki-Straße wurde die SS plötzlich mit einem Kugelhagel empfangen. Zwei Stunden dauerte dieser erste Kampf, und er endete mit einem vorübergehenden Rückzug der SS.
Bundesarchiv, Bild 183-41636-0002 / CC-BY-SA
„Dies war der erste Stein, der aus der faschistischen Mauer herausgebrochen wurde“, kommentierte Marek Edelmann später. Erst nach dem jüdischen Aufstand hätten sich auch andere Zivilisten in Polen gegen die Nazis erhoben, erst danach sei in ganz Europa eine Partisanenbewegung entstanden. Wenige Stunden später griffen die Deutschen unter neuer Führung, unterstützt von Panzerwagen, wieder an. In einem verzweifelten Kampf leisteten ihnen die zumeist sehr jungen jüdischen Aufständischen bis zum 16. Mai erbitterten Widerstand. Die Nazis gewannen erst nach rund einer Woche die Oberhand, nachdem sie damit begonnen hatten, Haus um Haus niederzubrennen.
Viele Polen beobachteten den ungleichen Kampf etwa vom Karussell auf dem Vergnügungspark am Krasinski-Platz aus. Allerdings haben manche Polen den kämpfenden Juden auch geholfen. Laut Kazik Ratajzer, einem der letzten Überlebenden des Aufstandes, hat die polnische Heimatarmee (AK) 50 Pistolen geschickt. Weitere fünf Pistolen kamen von der kommunistischen „Armia Ludowa“. Auf Hilfeleistungen zugunsten der Juden drohte die standrechtliche Erschießung durch die rund 20.000 in Warschau stationierten deutschen Wehrmachtssoldaten. „Gut, wir hatten ein paar Gewehre von der polnischen Untergrundbewegung bekommen, aber wir sind allein gewesen“, klagte Edelmann. Die AK-Führung hielt den Aufstand für verfrüht und militärisch sinnlos.
Bereits nach wenigen Tagen Kampf retteten sich die ZZW-Kämpfer durch die Abwasserkanäle auf die arische Seite. Die ZOB blieb allein im Ghetto zurück, doch die anfangs rund 750 ZOB-Kämpfer konnten die Deutschen nicht mehr aufhalten. Am 8. Mai 1943 eroberten die SS-Einheiten den Führungsbunker der Aufständischen an der Mila-Straße 18. Der ZOB-Führungsstab unter Mordechai Anielewicz hatte kurz zuvor kollektiven Selbstmord begannen. Die letzten ZOB-Verbände zogen sich in den folgenden Tagen durch die Abwasserkanäle ins arische Warschau zurück – darunter auch Marek Edelmann. Etwa 70 Kämpfer konnten sich so retten. Dutzende von ihnen kämpften im Warschauer Aufstand von 1944.
(c) Reuters
Am 16. Mai sprengte SS-Einsatzleiter Jürgen Stroop (im Bild in US-Haft) eigenhändig die Große Synagoge. „Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk Warschau mehr“, telegrafierte Stroop an Hitler. Laut seinem Bericht wurden bei der Niederschlagung des Aufstands mehr als 56.000 Juden getötet.
US-Army
Als Juden die Waffen gegen Hitler erhoben
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