art €co: Warum Führen so schwierig ist

Folge 9. Was Sie immer schon über Komplexität wissen wollten: Die neue „DiePresse.com“-Serie über Kybernetik als Denk- und Strategieschule.

Zuletzt haben wir die Kommunikation und Interaktion im Management mit den Einsichten der Kybernetik in die Eigendynamik komplexer Systeme betrachtet. Alles, was geführt werden muss, ist nur offen für den Austausch von Materie und Energie, aber nicht für den von Information. Kann man dann überhaupt führen?

Maria Pruckner: Auf jeden Fall kann man niemanden und nichts führen, indem man nur sagt, was Sache ist und erreicht werden soll. Es kommt auf das Bewusstsein an, dass die Impulse, die man setzt, von Natur aus keinen Einfluss auf deren Wirkung haben. Menschen und alle andere komplexen Systeme lassen sich sozusagen nichts sagen, sie sind eigensinnig und eigenwillig. Ihre inneren Informationsverarbeitungsprozesse werden nicht von der Außen- sondern von ihrer eigenen Innenwelt gefüttert, also intrinsisch gesteuert und reguliert. Es kommt darauf an, worauf ein System in seinem Innenleben jeweils zugreift bzw. zugreifen kann. Mit dem Einfluss von außen hat das wenig zu tun. Er sorgt nur für die Anregung der Nerventätigkeit, aber nicht für das, was die Nervenaktivitäten tun und erzeugen.

So wie man mit der Tastatur eines Computers nur dessen Rechentätigkeit anregt, aber nicht unmittelbar erzeugt, was der Rechner produziert?

Genau. Das machen die Programme, auf die der Rechner gerade zugreifen kann. Beim Menschen ist es seine Aufmerksamkeit, sein Wissen und seine Erfahrung in der jeweiligen Angelegenheit.

Sollte man sich überhaupt erwarten, dass Führung gelingt?

Besser wäre, davon auszugehen, dass Führung nicht aus sich heraus gelingt, sondern nur unter bestimmten Voraussetzungen und Rahmenbedingungen. Menschen, die von einer ähnlichen Kultur geprägt sind, ähnlich ausgebildet, mit ähnlichen Erfahrungen, Interessen und Wertvorstellungen, kommen in der Regel schnell und gut zusammen, weil sich ihre inneren Vorgänge vielfach decken. Doch auch wenn die Unterschiede untereinander zwar groß, aber klar sind und für so wichtig erachtet werden, dass man bereitwillig voneinander lernt, ist erfolgreiches Führen durchaus möglich. Wir kennen aber auch viele Situationen, in denen sehr gute Ergebnisse ganz ohne Führung entstehen. All das hängt von vielen Faktoren ab.

Die Prägungen werden aber immer individueller, die Gemeinsamkeiten immer weniger.  

Deshalb werden die Anforderungen an Führung immer höher. Als es in Österreich beispielsweise nur den ORF und die Printmedien gab, war viel gemeinsame Orientierung im Land da und es gab viele gemeinsame Themen. Auf all dem konnte man aufbauen. Damals konnte ein Chef sagen: „Macht es wie Kommissar Columbo gestern!“, wenn er eine ziemlich komplexe Strategie im Kopf hatte. Zumindest die Hälfte seiner Leute verstand damals sofort was er meinte. Die andere Hälfte, die vielleicht einen Heimatfilm gesehen hat, war schnell eingeweiht. Heute gibt es solche Gemeinsamkeiten nicht mehr. Wir sehen nicht mehr nach Programmterminen fern, wenn überhaupt, dann wenn wir Zeit haben. Keine zwei Menschen durchwandern beispielsweise je denselben Pfad im Internet. Jeden Tag stehen jedem Millionen von medialen Programmen zur Auswahl, vom Tratsch auf Facebook bis zu Computerspielen, Webinaren, Videokanälen, Partnerbörsen, usw. Das gemeinsame Wissen wird immer weniger, die unterschiedlichsten Erklärungen für Situationen immer mehr, der Führungsaufwand wird immer höher.

Sind deshalb ältere Auffassungen von Führung überholt?

Das ist nur einer der Gründe. Noch viel wichtiger sind die digitale Vernetzung, eine völlig veränderte Aufgaben- und Arbeitswelt, auch die akademischen Ausbildungen sind heute vollkommen anders; es fehlt heute sehr viel Wertvolles, aber nicht unmittelbar zweckmäßiges Allgemein- und Hintergrundwissen. Es ist in den letzten 20 Jahren in jeder Hinsicht kein Stein auf dem anderen geblieben. Wenn die ältere Generation über heutige Führungskräfte die Nase rümpft, sehe ich eigentlich zwei Gruppen. Die eine war noch im Krieg und weiß, was Krisen sind und wie man sie bewältigt. Sie kritisieren vor allem, wenn Ängstlichkeit und Entscheidungsschwäche vorherrschen. Die schon etwas Jüngeren, die im Krieg noch Kinder waren, die alles an heutigen Managern kritisieren und erklären, warum sie so erfolgreich waren, würden sich wohl nicht mehr zurecht finden, wenn sie heute noch einmal führen müssten. Die Menschen und Unternehmen von heute sind viel schwieriger zu führen als früher.

Mit der globalen Vernetzung und Telekommunikation geht auch die wachsende Komplexität und Dynamik einher. Was bedeutet das für Führungskräfte?

Dass die Welt ein zu instabiles System geworden ist, in dem ihre Subeinheiten nicht auf Kooperation ausgerichtet sind, sondern – ob in Wirtschafts- oder derzeit zum Beispiel in Asylfragen – auf die Verteidigung und den Zugewinn von  Terrains. Das mögen komplexe Systeme nicht, das halten sie nicht aus. In einem Organismus wäre die Diagnose multiples Tumorgeschehen mit drohendem totalem Organversagen.

Die Ohnmacht, die von Politikern, Führungskräften und Managern rüberkommt, ist also verständlich?

Nur zu verständlich. Auch wenn man in auf den obersten Führungsebenen weiß, dass sich alles in der Welt fast vollkommen eigendynamisch entwickelt - Deutschlands Bundeskanzlerin ist die Kybernetik zum Beispiel sehr vertraut, sie wollte ursprünglich sogar Kybernetik studieren - hilft ihnen das ja nichts, solange nicht jeder auf der Welt versteht und berücksichtigt, womit er diese Eigendynamiken selbst konstruktiv und destruktiv antreibt. Nichts funktioniert hier wie bei einer Knoblauchpresse, wo durch den Input schon feststeht, was der Output sein wird. Aber genau dieser Zauber wird von vielen erwartet, dass da einer nur das richtige sagen und tun muss, damit wieder alles rund läuft. Das ist nicht so. Eine winzige Wirkung kann enorme Folgen an weit entfernten Stellen haben. Es gibt nie nur die eine Wirkung, die man möchte, sondern viele hilfreiche aber auch unerwünschte Neben-, Folge- und Rückwirkungen. Massive Maßnahmen können wiederum vollkommen wirkungslos verpuffen. Viele Fehler und Fehlentwicklungen sind irreparabel, usw. All das passiert durch die Wirkgefüge der Natur, die klugen und weniger klugen Erkenntnisse, die Menschen gewinnen und weitergeben sowie durch die Signalverarbeitung technischer Systeme.

Bedeutet das, das Meistern von Komplexem hängt in jeder Hinsicht von Kooperation ab?

Darauf findet sich nicht nur ein kybernetisches Ja. Manchmal ist es auch sinnvoll, überhaupt keine Verbindung und Interaktion zu haben. Das kommt auf Vieles an.

Kommt man in der Kybernetik ohne Macht aus?

Nein. Wann Macht Sinn macht und wann nicht, darüber sprechen wir nächste Woche.

Die bisherigen Teile der Serie Was Sie immer schon über Komplexität wissen wollten finden Sie hier. 

Die Serie im Überblick:

Art €co 0: Was Sie immer schon über Komplexität wissen wollten

Art €co 1: Komplexität – ein Missverständnis

Art €co 2: Komplexität – Fachsprache ist nicht Alltagssprache

Art €co 3: Komplexität ist nicht gleich Komplexität

Art €co 4: Komplexität – Keine Ahnung und trotzdem erfolgreich

Art €co 5: Komplexität – Lösen Sie die falschen Probleme?

Art €co 6: Komplexität, Zwecke und Ziele

Art €co 7: Dumm sterben lassen

Art €co 8: Feedback kann man nicht geben

Art €co 9: Warum Führen so schwierig ist

Art €co 10: Ist es sinnvoll, Macht zu haben?

Die Konferenz „Die Komplexitätsfalle - Wie Nervensysteme Unternehmen ruinieren“ findet am 6. Oktober im Forum.21 im BLAHA BIZ in Korneuburg bei Wien statt

Maria Pruckner ist selbstständige Organisationskybernetikerin und widmet sich seit 1976 dem effektivsten und wirtschaftlichsten Umgang mit Komplexität und ihrer hohen Dynamik in Unternehmen, Institutionen und anderen Organisationen. Sie arbeitet für interne und externe Berater, Führungskräfte und Manager. Viele Jahre war sie strategische Beraterin von Fredmund Malik beim Aufbau seines Malik Management Systems. Auch einige seiner wichtigsten Bücher wurden von ihr überarbeitet bzw. getextet. Ihr fachlicher Werdegang entstand durch ihre langjährige Erfahrung in der Medizin und Pflege, die Entwicklung patientenzentrierter Krankenhausorganisation und kybernetischer Patientendokumentationssysteme. Die Schülerin und enge Vertraute von Heinz von Foerster, einem der wichtigsten Mitbegründer der Kybernetik, zählt aufgrund ihrer Publikationen und Aktivitäten seit Anfang der 1990er zu den internationalen Vorreitern für ein wirksames Arbeiten, Problemlösen und Führen in der Digitalen Ära.

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