art €co: Chefs und Chefinnen

Folge 14. Was Sie immer schon über Komplexität wissen wollten: Die neue „DiePresse.com“-Serie über Kybernetik als Denk- und Strategieschule.

In der 13. Folge haben wir als Modelle verschiedene Berufe herangezogen, die hochdynamische Komplexität bewältigen. Abschließend betrachten wir als Zusammenfassung Männer und Frauen in Führungspositionen aus kybernetischer Sicht. Sind Männer und Frauen unterschiedliche Systeme?

Maria Pruckner: Komplexes kann man nur ausgehend von bestimmten Zwecken und Zielen sinnvoll beurteilen. Bezieht man sich auf die Fortpflanzung, sind Männer und Frauen fundamental unterschiedlich. Im Management spielen diese Unterschiede keine Rolle, die biologischen Funktionen der Fortpflanzung sind nicht erforderlich, wenn nicht gar kontraproduktiv. Einen Unterschied macht hier nur, ob man Kinder betreuen muss oder nicht.

Sie sehen keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen im Management?

Ich wurde beruflich in Kliniken geprägt. Dort gab es zu meinen Zeiten viele, wenn nicht mehr Frauen als Männer in Führungspositionen und zwar auf allen Ebenen. Unterschiede in den Führungsstilen sehe ich nur zwischen unterschiedlichen Persönlichkeitstypen und Generationen, nicht zwischen den Geschlechtern.

Denken und handeln Männer anders als Frauen?

Auch wenn die Gehirne von Männern und Frauen etwas unterschiedlich ticken, hat die seriöse Hirnforschung bis heute keinen praxisrelevanten Unterschied gefunden, der sich auf das Geschlecht zurückführen lässt. Welche Erkenntnisse entstehen, hängt letztlich von der Lerngeschichte und Verfassung eines Individuums ab, nicht vom Geschlecht.

Haben Männer und Frauen unterschiedliche Lerngeschichten?

Einen Haushalt führen, Empfängnisverhütung, schwanger sein, Kinder gebären und betreuen, all das gehört in die Kategorie komplexer Systeme, also nichtlinearer, eigendynamischer, emergenter Vorgänge. Diese Aufgaben liegen bis heute vor allem in Händen von Frauen, und dieses Training ist heute ein Vorteil. Solche Männer, die sich von klein auf vor allem mit klassischen Maschinen beschäftigt haben, haben hingegen den Umgang mit einfachen linearen Ursache-Wirkungs-Systemen trainiert. Das ist heute ein Nachteil.

Ich möchte nun die acht Stolpersteine für Frauen aus unserer Serie „Warum Frauen steckenbleiben“ heranziehen und die kybernetische Sicht dazu kennenlernen. Wenn eine Frau und ein Mann für eine Führungsposition in Frage kommen, sagen Frauen, dass sie noch ein Seminar brauchen, während Männer sagen, sie hätten das im kleinen Finger. Welche Einstellung ist für das Meistern hochdynamischer Komplexität besser?

Das Wichtigste im Umgang mit Komplexität ist, zu wissen, was man nicht weiß, was in der Black Box steckt. Wem die Probleme mit Komplexität ausreichend bewusst sind, für den ist es selbstverständlich, dass man komplexe Aufgabenstellungen am effektivsten und wirtschaftlichsten mit dem besten Wissen dafür löst. Wo man sich von Anfang an auf echte Expertisen stützt, braucht man nicht einmal die Hälfte des sonst notwendigen Geldes, in vielen Fällen nur einen winzigen Bruchteil. Die Methode Trial & Error kann ziemlich gefährlich sein und ist auf jeden Fall teurer als nötig.

Frauen können über drei Themen gleichzeitig reden, locker den Überblick behalten, gleichzeitig über Sachthemen reden und die Beziehungsebene im Auge haben. Männer können das nicht. Wer ist im Vorteil, wenn es um das Meistern komplexer Verhältnisse geht?

Immer die Menschen, die viele Aspekte gleichzeitig geistig bedienen können, weil ganzheitliches Denken immer auch gleichzeitiges Bedenken bedeutet. Jene Menschen, die genug relevante Information erzeugen und verarbeiten können, also die nötige Hirnleistung zustande bringen, sind immer im Vorteil. Ich kenne auch genug Männer, die das durchaus beherrschen.

Frauen wollen keine Machtspiele spielen, nicht mit ihrer Leistung prahlen und so sein, wie sie sind.

Das Ausüben von Macht ist immer nur angebracht, um gegen unvernünftigen Widerstand Entscheidungen durchzusetzen. Wer heute noch mit seiner Leistung prahlt, übersieht, dass es in komplexen Systemen keine Monokausalität gibt. Jedes Ergebnis entsteht durch das Zusammenwirken von allen und allem. Menschen haben ein sehr gutes Sensorium für Unwahres und Unechtes. Glaubwürdigkeit und Authentizität sind wichtig und hilfreich, allerdings muss das, was man abgibt, als vorbildlich anerkannt werden. Sich authentisch rücksichts- und respektlos verhalten, wird nicht gut ankommen.

Bevor Männer ein Problem lösen, klären sie zuerst die Rangordnung und Zuständigkeit, während Frauen sofort überlegen, wie das Problem am besten gelöst werden könnte.

Das Meistern von hochdynamischer Komplexität ist immer ein Wettlauf mit der Zeit. Stellen Sie sich einen unerwarteten Herzalarm in einer Klinik vor. Die Männer klären zuerst, wer die Medikamente verordnet, vorbereitet und verabreicht, wer die Herzmassage macht und wer beatmet, während die Frauen meinen, man solle besser sofort mit der Reanimation beginnen, damit der Patient nicht stirbt. Welcher der beiden Gruppen würden Sie in Zukunft nur noch einfache Aufgaben überlassen?

Frauen wollen nicht mit martialischen Gesten zeigen, dass sie „der Boss“ sind. Was sagt die kybernetische Sichtweise dazu?

Wenn die Orientierung verloren geht, es chaotisch wird oder ist, muss sich eine Führungskraft deutlich machen, wenn nötig, auch mit martialischen Gesten. Wer damit ein Problem hat, gehört nicht in eine Führungsposition. Ich kenne aber so manche männliche und weibliche Führungskraft, die umso mehr Aufmerksamkeit erzielt, umso leiser sie wird. Hier wirkt dann die natürliche Autorität, die sie sich erarbeitet hat. Von Chefs, die sie ernst nehmen können, lassen sich die meisten Menschen gerne führen. Sie achten immer auf sie, egal wie prominent oder diskret sie sich verhalten.

Frauen lächeln viel länger und öfter als Männer, werden daher viel weniger ernst genommen. Ist es aus kybernetischer Sicht besser, ein Pokerface zu zeigen?

Der Körper beeinflusst den Geist und der Geist den Körper. Mimik erzeugt Hirnbewegungen und Hirnbewegungen erzeugen Mimik. Lächeln steigert nicht nur die Hirnleistung, sondern auch das Wohlbefinden und die Gesundheit. Ohne Vertrauen gibt es Probleme, wo nicht gelächelt oder gelacht wird, fällt Vertrauen viel schwerer. Lächeln gehört, abgesehen davon, zur strategischen Kunst, besonders dann, wenn einem eigentlich schon zum Weinen oder Brüllen ist. Lächeln macht weniger angreifbar. Wer ständig ein Pokerface macht, blockiert sein Gehirn. Menschen, die kaum oder nie lächeln und lachen, deuten viel eher darauf hin, dass sie eine psychische Störung haben.

Frauen, die nicht mit auf ein Bier gehen, stehen ihrer Karriere selbst im Weg.

Der Begründer der Managementkybernetik, Stafford Beer, hat die notwendige informelle und ungezwungene Kommunikation unter dem Motto „later at the bar“ sogar als unverzichtbare Managementmethode etabliert. Das kann ich nur unterstreichen. Die Kunst dabei ist, darauf zu achten, dass mehr Informationen als Alkohol unter die Haut fließen.

Frauen sprechen zu viel und lange. Männer drücken sich pointiert aus.

Es kommt beim Meistern von Komplexität gar nicht darauf an, was und wie viel gesagt wird, weil sich Information nicht übertragen lässt. Es kommt darauf an, was und wie viel gefragt wird, weil dadurch das Denken, Lernen und Erkennen anregt werden. Wenn in einer sinnvollen Abfolge die richtigen Fragen gestellt werden, fallen die Antworten in der Regel klar und kompakt aus, egal ob man nur X- oder auch Y-Chromosomen hat.

Welchem Stolperstein für Männer und Frauen würden Sie höchste Bedeutung einräumen?

Der größte Stolperstein ist, zu sehr mit sich selbst beschäftigt zu sein. Das verhindert die Konzentration auf die tatsächlichen Aufgaben und Probleme. Um gut und sicher führen zu können, muss man mit sich im Reinen sein, auch damit, dass man ein Mann oder eine Frau ist.

Welches Problem würden Sie lösen, damit Männer und Frauen auf dieselbe Ebene kommen können?

Das Problem der Kinderbetreuung, und zwar so, dass es für alle besser wird – für die Kinder, Frauen, Männer, Unternehmer und andere Arbeitgeber. Das ist angewandte Kybernetik, und das halte ich für möglich.

Warum Komplexes oft falsch beurteilt und behandelt wird und wie dadurch enorme soziale, gesundheitliche und wirtschaftliche Probleme entstehen, erfahren Sie am Dienstag, 6. Oktober 2015, an der Konferenz Nie wieder Komplexitätsfalle - Verlässliche Orientierungs- und Entscheidungshilfen für das digitale Zeitalter im Forum.21 im BLAHA BIZ in Korneuburg bei Wien. Unsere Leser erhalten mit dem Kennwort DIEPRESSE 25% Ermäßigung für Restplätze.

Die Serie im Überblick:

Art €co 0: Was Sie immer schon über Komplexität wissen wollten

Art €co 1: Komplexität – ein Missverständnis

Art €co 2: Komplexität – Fachsprache ist nicht Alltagssprache

Art €co 3: Komplexität ist nicht gleich Komplexität

Art €co 4: Komplexität – Keine Ahnung und trotzdem erfolgreich

Art €co 5: Komplexität – Lösen Sie die falschen Probleme?

Art €co 6: Komplexität, Zwecke und Ziele

Art €co 7: Dumm sterben lassen

Art €co 8: Feedback kann man nicht geben

Art €co 9: Warum Führen so schwierig ist

Art €co 10: Ist es sinnvoll, Macht zu haben?

Art €co 11: Vertrauen hat Vorrang

Art €co 12: Verantwortung – die Quelle des Gelingens

Art €co 13: Meister der Komplexität

Art €co 14: Chefs und Chefinnen

Maria Pruckner ist selbstständige Organisationskybernetikerin und widmet sich seit 1976 dem effektivsten und wirtschaftlichsten Umgang mit Komplexität und ihrer hohen Dynamik in Unternehmen, Institutionen und anderen Organisationen. Sie arbeitet für interne und externe Berater, Führungskräfte und Manager. Viele Jahre war sie strategische Beraterin von Fredmund Malik beim Aufbau seines Malik Management Systems. Auch einige seiner wichtigsten Bücher wurden von ihr überarbeitet bzw. getextet. Ihr fachlicher Werdegang entstand durch ihre langjährige Erfahrung in der Medizin und Pflege, die Entwicklung patientenzentrierter Krankenhausorganisation und kybernetischer Patientendokumentationssysteme. Die Schülerin und enge Vertraute von Heinz von Foerster, einem der wichtigsten Mitbegründer der Kybernetik, zählt aufgrund ihrer Publikationen und Aktivitäten seit Anfang der 1990er zu den internationalen Vorreitern für ein wirksames Arbeiten, Problemlösen und Führen in der Digitalen Ära.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.