Ein Saulus wird zum Paulus

Porträt. Vor zwölf Jahren trat Thomas Friess an, einen monopolistischen Telefonbuchverlag ins digitale Zeitalter zu führen. Auch wenn er von Letzterem gut lebt, warnt er davor.

Thomas Friess (51) war Investmentbanker. Für ein Frankfurter Bankhaus leitete er Börsengänge. „Spannend“, sagt er heute, „aber einseitig.“ Wie schön müsste es sein, dachte er damals, ein normales Unternehmen zu führen, normale Mitarbeiter zu haben und sich um normale Dinge wie den Mietvertrag oder die Verkaufstagung zu kümmern?

2003 bekam er die Geschäftsführung der Herold Yellow Pages angeboten. Sie machten damals 90 Prozent ihrer Umsätze mit gedruckten Telefonbüchern. „Mir hat das gefallen“, sagt Friess, „ich wusste, die digitale Welt wird das Geschäftsmodell erschüttern. Wir brauchten ganz schnell ein neues.“

Wie macht man aus einem monopolistischen Printverlag ein digitales Geschäft? „Indem man sich anschaut, worin man wirklich gut ist.“ Bei Herold war das die Verkaufsmannschaft, bestens bekannt und eng vernetzt in der KMU-Welt. „Wir haben uns gefragt: ,Was können wir bieten, was jeder Installateur braucht?‘“

Während rundherum die Wirtschaftskrise ausbrach, etablierte der Verlag immer wieder neue Digitalleistungen: herold.at, mobile Seiten, Facebook-Ads, Apps, eigene Plattformen (arztsuche24.at und urlauburlaub.at) sowie Baukastenwebsites für KMU.

1984 ist jetzt

Dann kam Big Data. „Wir haben schon immer mit Firmendaten gehandelt“, sagt Friess, „aber heute machen wir es ausgeklügelter.“ 2013 kaufte er den Schober Adressverlag und ging damit auch ins B2C-Geschäft: Herold verkauft Personendaten. Es gebe aber nur die Post- und keine IP-Adressen zu erwerben, stellt Friess gleich klar. Und ja, natürlich arbeite er mit Cookies, damit er die Google- und Facebook-Konsumenten mit passender Werbung erfreuen könne. Alles strikt im Rahmen der Gesetze, darauf lege er Wert.

Die Zweifel werden lauter

Dennoch denke er oft darüber nach, wo das legitime Geschäftsmodell aufhört und der Missbrauch beginnt. Er registriere in der Bevölkerung eine „fast schon religiöse Überhöhung digitaler Medien“ und deren unkritische Verwendung, ohne über die Folgen nachzudenken. „Die Menschen nehmen nur die Vorteile wahr. Nie, dass sie einen Preis haben.“

Er wisse vieles, das ihn beunruhige: Das Smartphone, der allzeit wache Spion in der Tasche, schneidet selbst dann mit, wenn es auf Flugbetrieb gestellt ist. Der Fernseher zeichnet durch die Scheibe auf, was sich vor dem Bildschirm abspielt. Das Auto leitet (wem denn?) weiter, wer wann wohin fährt. Das Haus meldet, wer sich in welchem Raum aufhält und was er dort macht.

„Sie lenken uns, damit wir uns wunschgemäß verhalten“, sagt Friess und erzählt von Banken, die das Facebook-Profil ihres Kreditwerbers auf Sicherheitsrisiken checken, von Autoversicherern, die ohne Wissen des Fahrers Prämien nach dessen Fahrverhalten berechnen, und von Krankenversicherungen, die das nach den Lebensgewohnheiten tun. Dazu die allgegenwärtige Spionage der Nachrichtendienste unter dem Mantel der Terrorabwehr: „Wollen wir denn so leben?“

Friess will es nicht. Seine Befürchtungen hat er sich von der Seele geschrieben, in einem NSA-Krimi mit dem Titel „Wer nichts zu verbergen hat, kann dennoch alles verlieren . . .“ (TLF-Verlag).

Er sei vorsichtig geworden, sagt er, verschlüssle Mails und SMS: „Das klingt nach Paranoia. Aber es ist Realität.“ Wichtige Zweiergespräche, die führe er nur noch im lauten Auto. Oder im stillen Wald.

ZUR PERSON

Der Schwarzwälder Thomas Friess (51) leitete für ein deutsches Bankhaus Börsengänge in Frankfurt und New York, bis er 2003 das Angebot bekam, in den heimischen Herold-Telefonbuchverlag einzusteigen. Von dessen damals 60 Millionen Euro Umsatz kamen 90 Prozent aus dem gedruckten Telefonbuch. Heute macht Herold 80 Millionen Euro Umsatz. Davon kommen 90 Prozent aus digitalen Dienstleistungen.

("undefined", Print-Ausgabe, 07.11.2015)

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