Mozart rettet Österreich nicht

NaturTalente. Absolventen aus Mathematik, Naturwissenschaften und Informatik sind gesucht und vor allem Frauen schwer zu finden. Eine Expertenrunde diskutierte Lösungen.

Sie gelten als zukunftsträchtig und relevant für den Wirtschaftsstandort Österreich: die Mint-Fächer, also Mathematik, Naturwissenschaften und Informatik. Entsprechend intensiv werden sie diskutiert. Etwa, weil nur ein Viertel der Studierenden in diesen Fächern weiblich ist. Oder, weil jeder fünfte bis sechste Mint-Job nicht besetzt werden kann, wie die Industrie beklagt.

Frauen schwer zu finden

Eine Antwort der Universität Wien und des Karriereservice Uniport ist das NaturTalente-Programm. Zum zweiten Mal kommen dabei 35 High Potentials aus den Mint-Fächern gezielt mit Unternehmen in Kontakt. Anlass für die „Presse“, in einem Roundtable-Gespräch mit sechs an NaturTalente beteiligten Unternehmen etwas tiefer in das Mint-Thema zu blicken:

Frauen, da waren sich alle Gesprächsteilnehmer einig, sind in den Mint-Fächern unterrepräsentiert. Elektrotechnik etwa, sagt Eva Heinetzberger, Senior HR-Managerin bei Infineon, sei in den Augen der Frauen offensichtlich eine „Hardcore-Fachrichtung“ und entsprechend unbeliebt. Doch man müsse differenzieren, sagt Wolfgang Bonitz, Chief Scientific Officer bei Novartis: Anders als in technikgetriebenen Fächern sei in biologischen, pharmazeutischen und medizinischen Studienrichtungen der Frauenanteil vergleichsweise hoch.

► An der Uni Wien etwa steigt – dank entsprechender Werbung – die Zahl der Studierenden in den Mint-Fächern. In manchen experimentellen Fächern so stark, dass es Kapazitätsprobleme bei der Laborausstattung gibt.

► Die Antwort könnten duale Studien sein, also eine Kombination aus Fächern, die bei Frauen mehr bzw. weniger beliebt sind: etwa eine Kombination aus Biologie und (Elektro-)Technik.

Frauen haben es grundsätzlich nicht schwerer, in Mint-Fächer einzusteigen. Sie würden dort aber auf ein überwiegend männliches Umfeld treffen: männliche Professoren, Studien- und Arbeitskollegen.

► Die Berufsbilder sind gesellschaftlich stark geprägt. Doch man könne technische Berufe durchaus offener für Frauen darstellen, sagt Bettina Türk, Senior-Managerin bei der Management-Beratung Accenture: „Superlative weglassen und die Bedeutung von Teamarbeit und Multitasking-Fähigkeit für die jeweilige Tätigkeit herausarbeiten.“

Frauen würden sich schon dann nicht bewerben, wenn sie auch nur einer Anforderung nicht entsprechen. Bei Männern sei das umgekehrt. Sie würden sich auch dann bewerben, wenn sie nur einige Anforderungen erfüllen, sagt Horst Pflügl, Global Research Program Manager bei AVL List.

► Tatsächlich gebe es Frauen, die dank Spitzenausbildung in Toppositionen gelangen. Doch viele scheiden nach wenigen Jahren aus, weil es an Modellen und Infrastruktur fehle, Job und Familie zu vereinbaren. Dabei könne das gut funktionieren, sagt Türk. Allerdings: „Jede einzelne Frau muss sich trauen, ein Modell zu definieren, das für sie lebbar ist.“ Es brauche daher beides: den Mut der Frauen und das Zutrauen der Unternehmen. Doch schon die Universitäten hätten die Aufgabe, transparent zu machen, dass es möglich und erwünscht ist.

► Schließlich gebe es genug weibliche Vorbilder in den verschiedensten Mint-Berufen. Allerdings räumt Sabine Radl, Geschäftsführerin von Sanofi Österreich, ein: „Frauen in Mint-Toppositionen sind in der Öffentlichkeit weniger präsent. Zudem fehlt oftmals der Wille, ihre Präsenz in der öffentlichen Wahrnehmung zu stärken.“

► Doch es sei zu spät, mit Maßnahmen an den Universitäten anzusetzen. Mint-Kindergärten könnten eine Antwort sein. Oder ein englischsprachiger Kindergarten mit naturwissenschaftlichem Schwerpunkt, wie ihn Infineon betreibt. Unternehmen müssten Schülern verstärkt Schnuppertage anbieten und Praktikaprogramme, in denen Mentorinnen zur Verfügung stehen.

► Nicht zu vernachlässigen sei das persönliche Umfeld bei der Ausbildungs- und Berufswahl. „Eltern haben oft das traditionelle Gesellschaftsbild im Kopf – außer sie kommen selbst aus der Technik“, sagt Heinetzberger.

Diversität ist die einzige Chance

Diversität war den Roundtable-Gästen generell ein Anliegen. Die Welt verändere sich derart schnell, dass ein Einzelner überfordert sei. Die Chancen, vernünftig und kreativ reagieren zu können, seien größer, wenn Frauen und Männer mit unterschiedlichen Ausbildungen, Meinungen, Interessen und Kulturen im Team sind. In seinem Unternehmen sei Diversität ein Grundwert, sagt Michael Eder, Associate Principal beim Beratungsunternehmen McKinsey & Company. „Es besteht die obligation to dissent: Jeder am Tisch kann Ideen einbringen, am Ende wird die beste ausgewählt. Ganz gleich, wer den Vorschlag eingebracht hat.“


Diversität spiegelt sich auch in den vielfältigen Erwartungen an die Mint-Absolventen wider:

► Wichtig sind Kommunikationsfähigkeit und Flexibilität im Denken wie in der Umsetzung, die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und für Themen zu kämpfen.

► Ebenso wie Interdisziplinarität. Pflügl nennt ein Beispiel: Früher sei es ausreichend gewesen, Verbrennungsmotoren zu verstehen. Da die Entwicklung heute Richtung Elektrifizierung und autonomes Fahren gehe, benötigten seine Mitarbeiter Verständnis von Elektrotechnik, Chemie und Informatik. ? la Mechatronik könne er sich ein neues Studium vorstellen: „Chemotronik, weil Elektronik und Chemie ganz verschiedene Welten sind.“

► Weniger wichtig ist, Wirtschaftskompetenz mitzubringen: Die sei on the job leichter nachzuholen als technisches Verständnis.

► Nur zur Vollständigkeit wurde die fachliche Exzellenz erwähnt. Die wird ohnehin vorausgesetzt.

► Die Rolle der Universität ist dabei klar. Sie will längerfristige theoretische Bildung und methodisches Wissen vermitteln. Aber auch die Praxis darf nicht zu kurz kommen. Bei den Naturwissenschaften wird im Studium intensive Projektarbeit betont, genauso grundlagenorientierte Forschung, ohne die Anwendungsseite zu vernachlässigen: Deshalb wird versucht, die Studierenden frühzeitig mit Wirtschaft und Industrie in Verbindung zu bringen.

In der Schule begeistern

Dennoch haben die Unternehmen Wünsche an das Bildungssystem, den Staat und die Gesellschaft, um den Mint-Bereich aufzuwerten:


► Etwa, Mint-Fächer bereits in der Schule lebhafter darzustellen. Also nicht über Formeln zu vermitteln, sondern Anwendungen in den Vordergrund zu stellen.

► Die Unis sollten noch genauer beobachten, was die Unternehmen brauchen, wenn sie die Ausbildungen konzeptionieren. Man sei auf einem guten Weg, aber mehr Gespräch könne nicht schaden.

► Zudem sollten die Unis ihre Forschungskooperationen nicht auf die großen Unternehmen beschränken, sondern auch kleineren Zugänge öffnen.

Über allem steht der Wunsch nach besserer Forschungsinfrastruktur. „Es braucht“, sagte Bonitz, „politisches und gesellschaftliches Umdenken, dass Österreich nicht nur ein Land des Tourismus und der Musik ist, sondern dass Forschung und Entwicklung für uns wichtig sind. Für eine Zukunft, die über Mozart und den Fremdenverkehr hinausgeht, wird man massiv Geld investieren müssen.“

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