Forschen gefährdet die Unwissenheit

Porträt. Diese Worte stehen an der Tür von Ludwig-Boltzmann-Institut-Chef Heinz Redl. Für ihn ist es kein Problem mehr, Knorpel, Knochen und Nerven nachwachsen zu lassen.

Woran würde Heinz Redl (64) forschen, wenn er könnte, wie er wollte? „Wieso manche Tiere Arme, Beine und Schwänze neu bilden können. Wie sie das machen. Und warum wir das verlernt haben.“

Redl leitet das Ludwig-Boltzmann-Institut für Traumatologie in der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt. Für Nichtmediziner: Traumatologie ist die Lehre von der Unfallheilkunde. Redl und sein 80-köpfiges Team forschen an der Regeneration beschädigter Knorpel, Knochen, Weichteile und Nerven. Praktischerweise ist das Institut im Lorenz-Böhler-Unfallkrankenhaus untergebracht. Das garantiert regen Austausch mit den Unfallchirurgen.

Mit leuchtenden Augen zeigt Redl einen Kreuzbandersatz aus Seide, außen matte Rohseide, innen geflochtene Stränge aus glänzenden Fäden. Demnächst will er damit in die Klinik gehen: Im Versuch war die Hälfte der Seide nach einem Jahr im Körper abgebaut und durch eigenes Gewebe ersetzt.

Künstlerische Fliegenaugen

Oder die Stoßwellentherapie: „Seit 30 Jahren zertrümmert man Nierensteine mit Stoßwellen. Damals fand man heraus, dass dort, wo die Stoßwellen auftreffen, auch Knochen besser heilt. Seit ein paar Jahren wissen wir, das gilt auch für Wunden. Jetzt forschen wir an den Nerven.“

Dabei wollte der Biochemiker mit Medizin ursprünglich gar nichts zu tun haben. Eher schwebte ihm eine Laufbahn in der chemischen Industrie vor. Als Student verdiente er sich sein Taschengeld mit wissenschaftlichen Fotos. Die Rasterelektronenmikroskopie war gerade aufgekommen, er schoss Aufnahmen von tausendfach vergrößerten Fliegenaugen: „Man muss die Tricks kennen, damit die Augen nicht eintrocknen. Ich wollte das richtig künstlerisch anlegen. “

Redl gründete ein Fotoforum an der TU, das Günther Schlag, dem Gründer des Forschungszentrums für Traumatologie, auffiel. Er ließ den jungen Fotografen ein paar Bilder von Lungenproben machen und stellte ihn sofort ein. Das war 1974.

„Ein fader CV“

24 Jahre später übernahm Redl die Führung des Instituts. „Ich bin in Wien geboren, zur Schule gegangen, habe hier studiert. Jetzt lehre ich an derselben Uni, an der ich studiert habe. Ein fader CV.“

Sein Werdegang mag geradlinig sein, seine Arbeit ist es nicht. Laufend kommen Ärzte von nebenan mit neuen Themen zu ihm oder internationale Kollegen aus der Fachorganisation Termis (Tissue Engineering and Regenerative Medicine International Society), deren Präsident er gerade ist. Eben hat er eine Crowdsourcing-Initiative gestartet: „Ich will die Schwarmintelligenz nützen. Man muss kein Wissenschaftler sein, um gute Ideen zu haben.“

Im Tal des Todes

Bis hierher wäre die Forscherwelt in Ordnung. Wäre da nicht die nächste Stufe, die Kommerzialisierung der Erkenntnisse. Gründungsförderungen gebe es genug, sagt Redl, sogar bessere als anderswo. Doch wolle ein Start-up sein Produkt dann auf den Markt bringen, verliere es sich im „Death Valley“, wie er es nennt. „Die Zulassungen werden immer schwieriger, die EU-Regulierungen immer komplexer. Das kann sich kein Start-up mehr leisten.“

Dazu drohe eine neue Medizintechnikregelung. „Ich weiß schon jetzt, dass dann wieder Leute aufhören.“ Warum überhaupt noch in Österreich forschen? Schon jetzt ziehe es viele Dissertanten in andere EU-Länder oder nach Amerika, weil sie ihre Arbeit in Österreich nicht finanzieren können. „Wir bilden sie gratis aus und dann gehen sie fort.“

Und das ärgert ihn gewaltig.

ZUR PERSON

Heinz Redl (64) leitet das Ludwig-Boltzmann-Institut für experimentelle und kli- nische Traumatologie. Hauptträger ist die AUVA, die etwa die Hälfte des Bud-gets von 3,5 Millionen Euro übernimmt. Fünf Prozent kommen von der Ludwig-Boltzmann-Gesellschaft, den Rest stellt das Institut kompetitiv auf die Beine.

(Print-Ausgabe, 21.05.2016)

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