Wir werden sehen

Kolumne "Karrierewege": Pferdefuß? Eine vermeintlich schlechte Nachricht könnte sich später als Glücksfall herausstellen. Und umgekehrt.

Es heißt, dass schlechte Nachrichten nur gute Nachrichten in Verkleidung sind. Wer gerade der letzten Restrukturierung seines Arbeitgebers zum Opfer gefallen ist und soeben seine Kündigung erhalten hat, kann diesem Spruch gewiss nichts Positives abgewinnen. Der Verlust des Arbeitsplatzes ist für viele Menschen der Inbegriff einer schlechten beruflichen Nachricht.

Wie wir die größte Abfuhr unseres Lebens bewerten, kann sich jedoch im Laufe der Zeit ändern. Häufig bewirkt der Verlust einer riesigen beruflichen Chance etwas Positives, das erst viele Wochen, Monate oder Jahre später sichtbar ist.

Am besten verdeutlicht dies eine Geschichte aus China: Einem alten Mann lief ein Pferd zu. Alle Menschen im Dorf gratulierten ihm und meinten: „Was für ein Glück!“ Er sagte nur: „Wir werden sehen.“

Nachdem der Mann das Pferd einige Wochen am Feld gut für die Arbeit verwenden konnte, lief es ihm eines Tages davon. „Was für ein Pech“, meinten seine Nachbarn. „Wir werden sehen“, sagte der Mann.

Wenige Tage darauf kehrte das Pferd zurück mit einer Stute an seiner Seite. Nun konnten der alte Mann und auch sein Sohn auf einem Pferd reiten. „Was für ein Glück“, sagten die Leute. „Wir werden sehen“, antwortete der Mann.

Am nächsten Tag fiel sein Sohn vom Pferd und brach sich ein Bein. „Was für ein Pech“, riefen alle. „Wir werden sehen“, sagte der alte Mann. Kurz darauf wurden alle jungen Männer des Dorfs als Soldaten für den Kaiser einberufen, nicht aber der Sohn mit dem gebrochenen Bein. Alle meinten: „Was für ein Glück!“ Nur der alte Mann antwortete: „Wir werden sehen.“

Es liegt also nicht daran, was im Außen geschieht, ob es uns beruflich gut geht oder nicht, sondern allein an unserer Bewertung. Gleichgültig, wie dramatisch uns eine Entwicklung erscheinen mag, ist es wichtig, für eine neue Bewertung der Dinge geistig offen zu bleiben.

Japan ist für seine außergewöhnliche, betonte Höflichkeit bekannt: Jede Begrüßung ist von einer Verbeugung begleitet, jeder Vortrag beginnt mit einer Entschuldigung. Doch wie überbringen Japaner die schlechte Botschaft einer Kündigung, wenn sie doch so bemüht sind, das Gesicht zu wahren und dem Gegenüber stets eine ausgewählte Wertschätzung entgegenzubringen?

Kündigungsschreiben in Japan beginnen üblicherweise mit den Worten: „Wir möchten Ihnen aufrichtig gratulieren. Mit dem heutigen Tag haben Sie die Möglichkeit, in ein Leben mit einer neuen beruflichen Herausforderung zu treten.“

Conrad Pramböck ist Berater und Speaker zu Gehalts- und Karrierethemen. Er leitet bei der Personalberatung Pedersen & Partners den Geschäftsbereich Compensation Consulting.

Die gesammelten Kolumnen erscheinen im neuen Buch "Karrierewege". Der Reinerlös des Buchverkaufs kommt Pramböcks Sozialprojekt "Ein Kinderlachen verdienen" zugute.

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