Physik, High Heels & Babyfläschchen

Porträt. Die Physikerin, Mathematikerin und dreifache Mutter Ranja Reda Kouba über ein Leben zwischen professioneller Fokussierung und Konzentration auf das, was wirklich wichtig ist.

Im Flugzeug zwischen Miami und Wien rechnete Ranja Reda Kouba (heute 31 Jahre alt) für ihren Vater aus, wie lange ein Lichtstrahl von der Erde zum Mond braucht. Da war sie acht Jahre alt. Mit 15 Jahren besuchte sie heimlich Astronomievorlesungen an der Uni, versteckt in der letzten Reihe.

Mit 21 Jahren studierte sie, halb Ägypterin, halb Weinviertlerin, in New York Physik. Eine Buchpräsentation erregte ihre Aufmerksamkeit. Das Buch war sekundär, es ging um den Ort der Präsentation: den obersten Stock eines Wolkenkratzers direkt neben Ground Zero – „ich wollte das Loch sehen“.

Das will ich machen – unbedingt

Dann kippte die junge Physikerin in den Vortrag hinein. „My Life as a Quant“ hieß das Buch, in dem Autor Emanuel Derman über Physik und die damals noch heile Finanzwelt reflektierte. Das war im Jahr 2006.

„Das will ich machen“, stand für sie fest. Unbedingt. Zurück in Wien, „um mir den Physik-Master abzuholen“, bat sie einen fachlich bewanderten Freund „um den Namen eines richtig guten Professors für Finanzmathematik“. Sie erwartete eine Koryphäe aus Harvard oder Tokio, doch der Freund antwortete klipp und klar: „Geh zu Professor Schachermayer an die TU.“

Sie mailte ihm sofort: Sie habe wenig Ahnung, was er mache, aber sie wolle es lernen. Kurz darauf saß sie im Büro des Professors und zeigte ihm ihre Arbeiten. Er beschrieb ihr, wie er mathematisches Wissen für wirtschaftliche Zwecke anwendet. Sie war begeistert. Wenig später ereilte sie ein Anruf. Man habe eine Doktoratsstelle für sie: Welcome to the team.

„Am Anfang verstand ich kein Wort“, sagt sie. Inhaltlich mögen Physik und Mathematik verwandt sein. In der Sprache sind sie es nicht. „Es war wie Chinesisch.“

Dann kam die Finanzkrise. Furchtbar für die Menschheit, schüttelt es Reda Kouba, aber spannend für sie: weil sie sich mit außergewöhnlichen Szenarien beschäftigt, mit denen niemand rechnet. Zusammen mit ihrem Doktorvater und einer Kollegin fand sie einen mathematischen „Trick“, mit dem Banken die Rechenzeit der Risikoberechnungen für ein Portfolio um 98 Prozent verkürzen.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurden die internationalen Unternehmensberatungen auf sie aufmerksam. Sie suchte sich die beste aus, dockte an und jettet seither zu Klienten in aller Welt. Bei welcher Beratungsfirma sie arbeitet, will sie nicht in der Zeitung lesen, weil sie gerade in Babykarenz ist (Daten der Redaktion bekannt). Ihr Jüngster ist 17 Wochen alt, die beiden Mädchen eineinhalb und drei Jahre.

Wie sie das alles unter einen Hut bringt? Mit strikter Priorisierung, sagt Reda Kouba: Von den fünf wichtigen Lebensthemen – Familie, Arbeit, Freunde, Fitness und Schlaf – könne man maximal drei gut machen. Lieber arbeite sie konzentriert nur wenige Stunden am Tag als auf ein Kinderpuzzle mit der Ältesten zu verzichten.

Wichtigster Termin von allen

Ein Projekt spuke ihr im Kopf herum. Ihre Freundinnen, selbstbewusst und stark, verwandelten sich beim Thema Physik in unsichere kleine Schulmädchen. „Wir fliegen Flugzeuge, führen Unternehmen, ganze Staaten – aber Physik verstehen wir nicht?“ Sie aber wolle sich „bei Kaffee und Croissant“ auch über ihre Arbeit unterhalten können. Deshalb schreibe sie jetzt ein Physikbuch für Frauen.

Doch nun müsse sie leider aufbrechen. In ihrem Terminkalender stehe „Kuscheln mit dem Jüngsten“. Und das wäre der wichtigste Termin von allen.

(Print-Ausgabe, 09.07.2016)

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