Die Dienstboten sind wieder da

Die Frauen putzen, waschen und bügeln. Die Männer fahren Pizza aus, liefern Pakete und den Online-Einkauf. Wir sind von einer neuen Art von Dienstboten abhängig geworden, aber wir kennen sie kaum.

In der Zeit, in der die Historien-TV-Serie „Downton Abbey“ spielt, lebten Herrschaft und Diener unter einem Dach. Man kannte sich, die Schicksale waren verwoben. Das war zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Diese familiär vertraute Form des Zusammenlebens ist weitgehend verschwunden. Die Dienstboten aber sind wieder da, wenn auch in anderer Form. Und wir mehr denn je von ihnen abhängig.

Die „Herrschaft“ ist heute der ganz normale Mittelstand. Während Herr und Frau Einfamilienhausbesitzer ihrer Erwerbsarbeit nachgehen, macht die polnische Putzfrau sauber, bügelt die bosnische Wäscherin die Hemden, liefert der pakistanische Botenfahrer das Amazon-Paket aus. Das beschreibt die erste Gruppe der neuen Dienstboten: Migranten aus aller Welt, mit wenig Bildung und noch weniger Sprachkenntnissen.

Die zweite Gruppe sind Studenten, die sich mit unterbezahlten Minijobs ihren Lebensunterhalt finanzieren. Sie sind besser dran: Nach dem Studienabschluss erwartet sie ein anderes Leben.

Delegieren aus Notwehr

Noch ein Unterschied zu „Downton Abbey“: Die Herrschaft von heute kennt ihre Dienstboten kaum bis gar nicht. Sie erteilt Aufträge anonym, am liebsten über das Internet. Man möge das Haus putzen oder die Zutaten für das Abendessen liefern, wenn der Auftraggeber nicht daheim ist. Man will gar nicht wissen, wer das gesichtslose Helferlein ist. Und schon gar nicht, ob der Lohn zum Leben reicht.

Zur Ehrenrettung: Das Motiv ist weder Faulheit noch Ignoranz. Im Gegenteil, der Mittelstand ist selbst in seinen täglichen Überlebenskampf verstrickt. Ihm bleibt gar nichts übrig, als nach unten zu delegieren, um sich für die eigene Erwerbsarbeit freizuspielen. Ausgenommen sind, wenn überhaupt, stark emotional aufgeladene Tätigkeiten wie das Aufziehen der Kinder und die Pflege der alten Eltern.

Und noch eine weitere Tätigkeitsklasse nimmt den Mittelstand nach seiner Erwerbsarbeit in Beschlag. „Schattenarbeit“ nennt sie Autor Christoph Bartmann (siehe Buchtipp). Nach Dienstschluss wird weitergewerkt, so straff wie im Büro. Da wird der Familienlaptop neu aufgesetzt, Rechnungen werden bezahlt, die Steuererklärung erstellt, die Onlinereise gebucht. Das lässt sich zwar auch delegieren, aber solche Professionisten sind teuer. Und es macht stolz, es selbst zu schaffen („20 Euro bei den Flügen gespart!“) – selbst wenn es den ganzen Abend kostet. Darin unterscheidet sich die neue Herrschaft von früheren Feudalherren: Die hielten sich Dienstboten, um selbst ihrem Müßiggang zu frönen.

Für zwei Seiten ist das Konzept ein Gewinn. Der Auftraggeber ist entlastet. Indem er seiner Erwerbsarbeit nachgehen kann, sichert er seinen Status. Der Vermittler, meist eine Online-Plattform, verdient gut. Auf der Strecke bleiben nur die Dienstboten. Ihr Lohn reicht kaum zum Leben, von Versicherung, Pension und Gewerkschaft können sie nur träumen.

Ethisch – oder lieber doch nicht

Wäre es nicht fair, philosophiert Bartmann, sie so zu entlohnen, dass sie sich „unseren“ Lebensstandard leisten können? Müssten wir nicht Anbieter boykottieren, denen ihre Mitarbeiter nicht einmal Versicherung und Steuer wert sind? Die Antwort gibt der Autor selbst. Zum einen würde das die Dienstleistung massiv verteuern. Daraufhin würde automatisch die Nachfrage erlöschen. Zum anderen, meint er, wollen das nicht einmal die Dienstboten selbst. Aus kurzfristigen Überlegungen: Das oft steuer- und versicherungsfreie Einkommen von heute ist ihnen lieber als die Absicherung von morgen. Für sie bleibt das System besser, wie es ist.

Wen die Roboter ersetzen

Doch wie sicher sind solche prekären Jobs in einer automatisierten, roboterisierten Welt? Wann ersetzt der Saugroboter die Putzfrau? Niemals, ist Bartmann überzeugt, weil der Saugroboter nicht in die staubigen Ecken kommt.

Das Internet der Dinge interessiere sich nicht für die unangenehmen, schmutzigen, Gründlichkeit erfordernden Tätigkeiten. Genau dort, wo die Hausfrau Entlastung braucht, denkt es Lösungen noch nicht einmal an. Den viel zitierten smarten Eiskasten aber, der selbst die Milch nachbestellt, wird sie meiden, weil sie sich die Hoheit über ihre Einkaufsliste nicht aus der Hand nehmen lässt.

Künstliche Intelligenz im Haushalt werde überschätzt, ist sich Bartmann sicher, weil sie den Kern der Hausarbeit bislang nicht berühre.

Anders sieht das im Niedriglohnbereich außerhalb des Haushalts aus. Nur allzu bald werden Lieferdrohnen die Fahrradboten und Pizzaboys ersetzen. Nachweinen wird ihnen niemand. Man hat sie ohnehin nicht gekannt.

Buchtipp

Christoph Bartmann
„Die Rückkehr der Diener“
Hanser Verlag
286 Seiten
22 €

(Print-Ausgabe, 24.09.2016)

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