Aufstehen und weitermachen

Porträt. Michaela Reitterer gehört das weltweit erste Stadthotel mit Null-Energie-Bilanz. Präsidentin der Österreichischen Hoteliervereinigung ist sie auch. In den Schoß gefallen ist ihr nichts.

Die schicksalhafteste Zeit in ihrem Leben? Michaela Reitterer (52) muss nicht lang nachdenken. Mit 36 Jahren, erzählt sie, stand sie ohne Mann, ohne Job und ohne Haus, dafür allein mit zwei pubertierenden Kindern da. Ihr Mann „hat es sich hoffentlich verbessert“, ihr Reisebüro (Kuoni Hippesroither, Anm.) hatte sie gerade verkauft, um das Hotel ihrer Eltern gleich neben dem Westbahnhof zu erwerben. Mit den Kindern zog sie vom „Haus mit Schwimmteich“ in eine 50-Quadratmeter-Wohnung auf dem Dach des Hotels. Plötzlich war alles neu.

Ihre Eltern wollten schon zu Lebzeiten die Nachfolge regeln, „weil sie wussten, Erbschaftsgeschichten gehen oft schlecht aus“. Nur eine der beiden Töchter war bereit, in die Zukunft des alten Hotels zu investieren. Modul-Absolventin Reitterer wollte einen Kredit aufnehmen, das Stammhaus sanieren, das Nebengebäude dazukaufen, es abreißen und komplett neu als Passivhaus errichten lassen.

Ein Stadthotel als Passivhaus? „Das haben mich viele gefragt. Ich dachte damals, man kann gar nicht mehr anders bauen.“

Dann kam 2008. Der Bauplan war fertig, die Zimmer aus allen Buchungsplattformen genommen, das Personal beurlaubt. Gerade, als die Bagger einfuhren, kam der Anruf von der Bank: Tut uns leid, wir machen die Finanzierung doch nicht. Zu riskant in Zeiten wie diesen.

Was tun? Einen Monat später hatte sie eine Alternativfinanzierung aufgestellt. Leicht war das nicht: „Ich hatte oft ein Gefühl wie vor der Mathe-Matura.“

Rettet den Wilden Wein

Einmal wurde sie von der eigenen Tochter weinend in der Dachwohnung gefunden. „Mami“, tröstete sie sie, „du hast doch gesagt, man schafft alles, wenn man nur will. Wieso weinst du dann?“ „Weil jeder ab und zu einen Hänger hat“, antwortete sie. Den lässt man durchziehen, steht auf und macht weiter.

Reitterer machte weiter. Konzentrierte sich auf das nächste Ziel und setzte es um. Als die Bauarbeiter die Gerüste aufstellten, bestand sie darauf, den Wilden Wein, der sich bis zum Dach rankte, vorsichtig von der alten Fassade zu lösen, am Gerüst zwischenzuparken und nach der Renovierung wieder an der frischen Fassade anzubringen. „Jeden Morgen haben wir geschaut, ob er frisch austreibt. Die Arbeiter haben sich nur noch gewundert.“

Gesunde und halb tote Kühe

Reitterer schreibt Zehnjahrespläne, in denen sie private wie berufliche Ziele festhält. Eines war die Präsidentschaft der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV). Deren Mitglieder sind hauptsächlich Betreiber von Vier- und Fünf-Sterne-Hotels. Ihre Chancen waren praktisch null – Frau, Wienerin und nur Eigentümerin eines Drei-Sterne-Hotels.

Dennoch: Seit 2013 ist sie ÖHV-Präsidentin, seit 2016 alleinige. Weil sie in allen Gremien glaubhaft machte, wie ernst es ihr ist, dem Tourismus den Stellenwert als zweitwichtigste Branche des Landes zu geben. Es störe sie, sagt sie, dass die Politik nur auf die notleidenden Branchen schaue, die funktionierenden aber ignoriere: „Sie füttert nicht die gesunde Kuh, die den Karren zieht, sondern die halb tote, die ihn bremst. Stünde nicht in jedem Bergtal ein Hotel, das die anderen Gewerbe mitzieht, wären auch der Bäcker und der Installateur arbeitslos.“

Und es stört sie das Klischee des ach so harten Hotellerieberufs: „Ein Drittel aller Professionen arbeitet am Sonntag: Pflege, Verkehr, öffentliche Sicherheit . . . warum ist das nur bei uns ein Thema?“ Sie will die Jungen wieder begeistern und die fertig Ausgebildeten zurückholen, die von den Banken abgesaugt und nun wieder freigesetzt werden. Eine ihrer Initiativen ist der Tag der offenen Hoteltür am 9. Oktober: „Wir haben genug gesudert. Jetzt tun wir etwas.“

ZUR PERSON

Modul-Absolventin Michaela Reitterer (52) verkaufte ihr Reisebüro, um ihren Eltern deren Hotel abzukaufen. Schritt für Schritt baute sie es zum Boutiquehotel Stadthalle Wien um, dem weltweit ersten Stadthotel mit Null-Energie-Bilanz. Sie erhielt dafür mehrere Umweltpreise und den Österreichischen Staatspreis für Tourismus. Seit 2013 ist sie Präsidentin des ÖHV, seit 2016 alleinige Präsidentin.

(Print-Ausgabe, 01.10.2016)

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