Jeder Mitarbeiter muss führen – und folgen

Agiles Arbeiten. Hermann Arnold legt in seinem Buch „Wir sind Chef“ eine gut lesbare und verständliche Anleitung vor, wie wir Führung künftig sinnvoller gestalten können. Und warum Abstimmungen mehr als eine Frage von Mehrheiten sind.

„Wir sind Chef“ – das erinnert an die „Bild“-Schlagzeile „Wir sind Papst“. Und hat damit doch nichts zu tun. Hinter „Wir sind Chef“ steckt nicht nur das gleichnamige Buch von Hermann Arnold, sondern auch ein ungewöhnlicher Zugang zum Thema Arbeit. „Wir sind Chef“ heißt übersetzt: Jeder im Unternehmen übernimmt Verantwortung, führt sich selbst und andere. Und jeder innerhalb der Organisation ist bereit zu folgen – und weiß, wann was gerade angebracht ist.

Arnold, Mitbegründer und langjähriger Geschäftsführer des HR-Beratungs- und Softwareunternehmens Haufe-Umantis, erprobt im eigenen Unternehmen und mit Kunden immer wieder alternative Ansätze: Vorgesetzte zu wählen, ihnen aber auch die Möglichkeit zu geben, von ihrer Funktion wieder zurückzutreten, oder teamverantwortetes Recruiting. Im Buch bringt er viele Beobachtungen ein, erklärt praxisnah und detailliert Werkzeuge und Lösungsansätze und ermutigt, eine „Wir sind Chef“-Kultur zu etablieren.

Alles arbeitsteilig, oder?

„Die Anforderungen an Chefs sind enorm“, sagt Arnold im Gespräch mit der „Presse“. Geradezu unmenschlich seien sie. Von Chefs werde erwartet, dass sie alles können. Fehler hingegen würden ihnen nicht verziehen – schon gar nicht von ihren Mitarbeitern. So selbstverständlich Arbeitsteilung heute sei, Führung sei scheinbar unteilbar, konstatiert Arnold.

Darüber denke man in Unternehmen auch dann nicht nach, wenn es nicht so gut laufe. Stattdessen veranstalte man Reisen ins Silicon Valley, komme enthusiasmiert zurück und fordere die Mitarbeiter auf: „Organisiert euch selbst!“ Um schon nach kurzer Zeit alle und alles im Haus im Chaos versinken zu sehen. „Das ist Energieverschwendung“, sagt Arnold, weil die notwendigen Prozesse fehlten. Ganz abgesehen davon „wird es auch zukünftig Führungskräfte brauchen: Leute, die Kraft zur Führung haben.“

Im Buch zeigt Arnold den Weg vom klassischen „Command and Control“ hin zu Unternehmen, die als agile Netzwerke fungieren. Auf diesem Weg gebe es immer wieder die Erfahrung, dass Schattenorganisationen entstehen bzw. die Organisation überfordert und chaotisch sei – weil die angesprochenen Prozesse und Rahmenbedingungen erst erarbeitet werden müssen.

Drei essenzielle Dimensionen

Das fordere alle Mitglieder der Organisation – Führungskräfte und Mitarbeiter –, sich darauf einzustellen und einzulassen. Drei Dimensionen, sagt Arnold, seien essenziell, wenn sich Unternehmen dafür entscheiden, die Organisation als agiles Netzwerk zu verstehen: erstens Organisation und Regeln, zweitens Infrastruktur und drittens Kompetenzen, Dinge tun zu können und zu dürfen.

Um das zu verdeutlichen, zieht Arnold einen Vergleich mit dem Straßenverkehr – der ja grundsätzlich gut funktioniere: Organisation und Regeln entsprechen dabei der Straßenverkehrsordnung samt Rechtsfahrgebot und Rechtsregel. Straßen und Ampeln bilden die Infrastruktur. Mehrschichtig verhält es sich mit den Kompetenzen: Die Fahrschule vermittelt das Können, der Führerschein das Dürfen. Die Polizei übernehme die Kontrolle. Doch, sagt Arnold, je transparenter ein System sei, desto eher erübrige sich Kontrolle. Als Beispiel nennt er die Spesenabrechnung in Unternehmen: Je transparenter sie sei, desto weniger werde von den Mitarbeitern getrickst.

Übrigens: Im Straßenverkehr seien Fehler und Unfälle systemimmanent – ohne dass jeder Fehler zum Führerscheinentzug führe oder dazu, das Gesamtsystem infrage zu stellen. Auch das sollte Unternehmen zu denken geben.

Viel sei derzeit von der Demokratisierung in den Unternehmen die Rede. Ein Thema, bei dem Arnold besonders vorsichtig ist. Den Chef zu entmachten sei zu wenig. Denn oft fehlten dann die Methoden, wie Entscheidungen getroffen werden sollen. Mehrheitsentscheidungen würden eine große Gruppe oft unzufrieden zurücklassen: „Demokratie würden wir heute anders gestalten, aber wir haben noch immer das Modell, das 200 Jahre alt ist.“ Deshalb rückt er auch das Wort „abstimmen“ in ein neues Licht: Es gehe darum, sich abzustimmen, eine Stimme zu finden und damit eine Entscheidung, die dann verbindlich ist und von allen getragen wird.

Hybrides Gemeinschaftswerk

Viele Stimmen hat Arnold auch gehört, bevor er das „Wir sind Chef“-Buch herausgegeben hat. „Es ist die Version 0.9“, sagt er und zieht den Vergleich zu einem Open-Source-Betriebssystem für Computer: Im Austausch mit Lesern und Anwendern soll der Inhalt über die Plattform os.haufe.com weiterentwickelt werden. Feedback, Erfahrungen und Ideen sollen nach dem Prinzip des Voneinanderlernens in zukünftige Auflagen des Buches einfließen und es zu einem „hybriden Gemeinschaftswerk von Autor und Lesern“ machen.

(Print-Ausgabe, 08.10.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.