Elitelehrlinge und Kreativrecruiting

Fachkräftenachwuchs. Einen Konzern müsste man hinter sich haben. Dann ließen sich auch Personalprobleme lösen, an denen sich Klein- und Mittelbetriebe oft die Zähne ausbeißen.

Vergangene Woche staunte Marion Dedora. Bei der „Great Place to Start“-Auszeichnung (siehe Seite K2) verglich die Head of Corporate HR der Mayr-Melnhof Gruppe ihre Lehrlinge mit anderen anwesenden. Ein Unterschied fiel ihr auf: wie viel mehr Verantwortung sie den jungen Leuten in ihrem Haus gibt.

IT-Lehrling Patrick etwa schult auch Mitarbeiter ein. „Mit einer Leichtigkeit, die ihresgleichen sucht“, erklärt der 23-Jährige sogar Abteilungsleitern, wie sie eine neue Applikation bedienen müssen. Zuletzt arbeitete er in Chile und Kolumbien zusammen mit den lokalen IT-Teams an der Migration zugekaufter Unternehmen. Daneben lernt er Spanisch.

„Wir behandeln die jungen Leute nicht wie Lehrlinge im herkömmlichen Sinn“, analysiert Dedora. „Wir filtern heraus, wie schnell sie lernen und was ihnen liegt. Diesen Raum lassen wir sie ausfüllen.“

Vorteil des klingenden Namens

Die Personalistin ist in einer besonderen Situation. Hinter ihr steht ein Konzern mit Weltruf. 10.000 Mitarbeiter, verteilt auf 45 Werke auf vier Kontinenten – auf Bewerber wirkt das wie ein Magnet. Das gibt Dedora die Möglichkeit, aus dem Vollen zu schöpfen. Für Lehrlingspositionen etwa kann sie sich leisten, Maturanten und Studienabbrecher mit Sehnsucht nach mehr Praxis zu bevorzugen. Hausverstand zählt für Sie dabei genauso wie ein gehobener Hintergrund: „Unsere künftigen Lehrlinge müssen schon mit einem Gefühl für Verantwortung groß geworden sein. Nicht wir bringen ihnen das bei, es muss schon im Elternhaus gelebte Realität gewesen sein.“

Bei der Auswahl der Rohdiamanten wird weiter ausgesiebt. Neben den üblichen fachbezogenen Tests benötigt jeder Lehrling den einstimmigen Segen von mindestens fünf Mitarbeitern, mit denen er während seiner Interviews und Schnuppertage Kontakt hatte.

Der Lohn des Aufwands sind Förderprogramme, die weit über die Lehrinhalte hinausgehen. Die jungen Leute werden an Eigenverantwortung und unternehmerisches Denken herangeführt, lernen Softskills, Sprachen und nehmen an Trainings und Fachtagungen teil. Das bindet und hält die künftigen Fachkräfte auch langfristig bei der Stange.

Drei Häuser und viele Rentiere

Ganz frei von Besetzungssorgen (Stichwort Fachkräftemangel) ist die Konzernpersonalchefin trotzdem nicht. In den Ballungszentren findet sie genug Nachwuchs, doch in ländlichen Gegenden kann das eine Herausforderung sein. Das gilt für Hirschwang nahe Reichenau an der Rax genauso wie für das norwegische Follafoss nahe Trondheim: „Dort gibt es drei Häuser und sonst nur Rentiere. Ein Städter geht dort nicht hin.“

Die Lösung liegt immer im Schulterschluss mit den Menschen vor Ort. Im niederösterreichischen Hirschwang setzt Dedora auf „vertrauensbildende Maßnahmen, die die Strahlkraft des Unternehmens im Umfeld erhöhen“. Im norwegischen Follafoss mit seinen engen familiären Strukturen hilft ein Empfehlungsmodell. Im türkischen Tire wiederum werden Paradeispflücker zu Verpackungsspezialisten umgeschult.

Damit sie bleiben

Fachkräfte zu finden ist eine Sache, sie langfristig zu halten eine andere. Auch hier entwickelt die Personalistin für jedes Land eine eigene Strategie.
In Österreich etwa stellte sie fest, dass immer mehr Menschen mehr Flexibilität wichtiger als mehr Gehalt ist. Daher haben die Mitarbeiter nun die Möglichkeit, sich freie Zeit mit adäquatem Gehaltsverzicht zu „erkaufen“.

„Manchmal muss man wirklich nachdenken“, sagt Dedora, „aber es findet sich immer eine Lösung.“

Auf einen Blick

Marion Dedora (53) ist Head of Human Resources bei der börsenotierten Mayr-Melnhof Gruppe, dem weltweit größten Hersteller für Recyclingkarton und europaweit führenden Faltschachtelproduzenten. Dedora ist für 10.000 Mitarbeiter in 45 Werken auf vier Kontinenten personell verantwortlich. Über die Lehre hinaus fördert und fordert sie die Auszubildenden und bindet sie so auch langfristig an den Konzern.

(Print-Ausgabe, 10.12.2016)

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