Gefallene CEOs mit Trump-Syndrom

Narzissmus. Viele Topmanager, die wegen Betrugs oder Korruption verurteilt wurden, zeigen ähnliche Persönlichkeitsstrukturen. Sind sie noch Narzissten – oder schon Psychopathen?

"So ein Psychopath!“ – das sagt sich leicht dahin. Wir lieben es, Managern, die hoch stiegen und – endlich! – tief fielen, psychopathische Züge nachzusagen. Dann heißt es, sie waren schon immer skrupel-, rücksichts- und verantwortungslos; sie logen, betrogen und manipulierten. Psychopathen halt.

Sind sie das wirklich?, fragte sich Günter Stahl, WU-Professor für Internationales Management. Für ein Forschungsprojekt nahmen er und Assistenzprofessorin Milda Zilinskaite sich die Lebensgeschichten sechs prominenter CEOs vor, die wegen Betrugs oder Korruption zu Gefängnisstrafen verurteilt worden waren. Sie studierten Tausende Seiten Gerichtsakten über Enron, Worldcom, Tyco, Lehman, Parmalat und Bertelsmann, gruben tief in der Kindheit der verantwortlichen CEOs. Waren sie Psychopathen – oder „nur“ ausgeprägte Narzissten?

Die Dosis macht das Gift

Ein bisschen narzisstisch sind wir alle. Wir mögen es, gut dazustehen, bewundert und geliebt zu werden. Das tut gut. Das ist gesund.

Zu viel davon ist es nicht mehr. Dann liegt eine narzisstische Persönlichkeitsstörung vor. Solche Menschen halten sich für grandios, fantasieren von grenzenlosem Erfolg und fordern exzessive Bewunderung. Die Gefühle anderer scheren sie wenig. Ungehemmt manipulieren sie ihre Umwelt und neiden anderen den Erfolg. Bekommen sie selbst – für ihre Verhältnisse – zu wenig Anerkennung, erschüttert das ihren Selbstwert massiv (Trump-Syndrom nennt Stahl das). Auf Kritik reagieren sie mit depressiven Schüben.

Der Psychopath zeigt ein anderes Krankheitsbild. Er ist antisozial, parasitär und aggressiv. Für seinen Vorteil treibt er jedes – auch illegales – Spiel. Der große Unterschied zum Narzissten: Der Psychopath war schon immer so und passt meist auf das Klischee des gefühllosen, kalten, berechnenden Gestörten, der aber auf seine Umgebung erstaunlich charismatisch wirkt. Der Narzisst ist erst im Lauf seines Lebens von der hellen auf die dunkle Seite gekippt. Von beiden Persönlichkeitsstörungen sind Männer übrigens weit häufiger betroffen als Frauen. Das Testosteron ist schuld.

Psychopath oder Narzisst?

Stahls Projekt hatte ein eindeutiges Ergebnis. Alle verurteilten CEOs waren ausgeprägte Narzissten, kein einziger ein Psychopath. (Detail für Insider: Die Zuordnung erfolgte nach der weltweit anerkannten Checkliste von Robert Hare.)

Bei allen CEOs hatte sich die Störung erst im Lauf ihrer Karriere entwickelt, oft im eigenen Konzern. Woraus die Frage resultiert, ob er an der Entwicklung beteiligt war. Unbedingt, ist Stahl überzeugt. Alle Firmen zeigten dasselbe Muster:

  • eine extrem kompetitive Unternehmenskultur (bei Enron wurden jedes Jahr die schwächsten zehn Prozent Mitarbeiter „aussortiert“)
  • eine starke Ausrichtung an kurzfristigen Zielen ohne langfristige Perspektive
  • ebenso kurzfristig angelegte Incentive- und Bonussysteme, fehlende Corporate-Governance-Strukturen (Stahl: „Aufsichtsräte, die alles durchgehen ließen“)
  • fehlende Diversität im Topmanagement (Stahl: „Alles mittelalte Herren der Ivy League. Keine einzige Frau dabei“)
  • eine starke Diskrepanz zwischen den offiziellen Mission-Statements (soziale Verantwortung, Nachhaltigkeit, Partnerschaft) und der tatsächlich gelebten Praxis.

Auf einen Blick

All das lässt sich verändern. Zurück bleibt die Henne-Ei-Frage. Hat der Konzern den CEO so geprägt, dass er wurde, wie er ist – oder war es umgekehrt?Regelmäßig lädt die WU Executive Academy in ihre MBA-Alumni-Lounge zu aktuellen Themen ein. Vergangene Woche referierte WU-Professor Günter Stahl (Internationales Management) mit Kollegen über „Narcissism and the dark side of leadership“. In seinem Projekt kam er zum Schluss, dass alle untersuchten CEOs, die für Konzernskandale verantwortlich waren, ausgeprägte Narzissten, aber keine Psychopathen waren.

(Print-Ausgabe, 14.10.2017)

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