San Sebastián: Tamborrada!

(c) Kulturhautstadtjahr San Sebastián
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San Sebastián ist – samt Umgebung – eine wunderschöne, wenn auch raue Ecke Europas. Die Stadt am Atlantik ist heuer neben Wrocław (Breslau) die zweite Kulturhauptstadt des Jahres.

Als Märtyrer erlitt der heilige Sebastian unvorstellbare Qualen. Weil sich der römische Hauptmann der kaiserlichen Leibwache unbeirrt zum Christentum bekannte, wurde er von Pfeilen durchbohrt und mit Keulen erschlagen. Am 20. Jänner wird der Namenstag dieses heroischen Mannes, der ein beliebtes Motiv der bildenden Künstler war, gefeiert. In San Sebastián dürften allerdings an diesem Tag nur wenige an das Leiden des armen Soldaten aus dem dritten Jahrhundert nach Christus denken. In der lebenslustigen Stadt am Golf von Biskaya herrscht am 20. Jänner eine Stimmung wie bei einem Fußballmatch – und es ist auch genauso lärmend: Aus Lautsprechern werden die Teilnehmer der Tamborrada angefeuert, der Trommelparade, die jedes Jahr stattfindet, heuer aber das Kulturhauptstadtjahr eingeläutet hat. Die ganze Stadt ist auf den Beinen, denn vom Baby bis zum Greis sind viele Angehörige bei der Parade in traditionellen Kostümen, wobei besonders die witzige Mischung aus Militär und Köchen auffällt. Diese beiden Gruppen bestimmten die Geschichte San Sebastiáns, ja des ganzen Baskenlandes, in dem Krieg und Kulinarik sich die Waage zu halten scheinen und nicht selten sogar fusionieren. Es gibt über 100 Trommelgesellschaften, früher Männern vorbehalten, jetzt dürfen auch Frauen mitmachen. Beim Kochen ist es ähnlich, die Kochklubs sind ebenfalls Männersache, Frauen dürfen inzwischen aber zumindest mitspeisen.

Höhepunkte. Marionetten-Festival im Mai.
Höhepunkte. Marionetten-Festival im Mai.(c) Kulturhautstadtjahr San Sebastián

Mythen. Der US-Journalist Mark Kurlansky, der mit „Cod“ (Kabeljau) eine „Biografie des Fisches, der die Welt veränderte“, einen Bestseller landete, hat ein spannendes Buch über die Basken und das Baskenland geschrieben: „The Basque History of the World“ (Vintage) über die Kämpfe und die Zerstörung der Einheit des zwischen Spanien und Frankreich aufgeteilten Gebietes, über die baskischen Walfangmeister, Mythen, Aberglauben und Christianisierung, über die Bombardierung der baskischen Stadt Gernika durch deutsche Kampfflugzeuge 1937 (Picasso widmete diesem brutalen Angriff eines seiner berühmtesten Gemälde, das zum Ärger der Basken nicht in ihrer Heimat, sondern im Museum Reina Sofía in Madrid zu sehen ist), über Pilgerwege entlang des Jakobsweges und nicht zuletzt über die baskische Küche: Ihren Mittelpunkt bildet der Pincho oder baskisch Pintxo, ohne x geht hier gar nichts, und man sollte die Häppchen, die zum Wein gereicht werden, auch besser nicht Tapas nennen, denn Eigenständigkeit ist im Baskenland etwas sehr Wichtiges.

Außerdem sind die Pintxos teilweise fantasievoller als Tapas gestaltet, und mit Glück werden sie ständig frisch zubereitet, bis nachts um drei und wieder morgens ab sechs. Der Chef steht meist selbst in der Küche oder an der Theke der Bar und kümmert sich darum, dass Brötchen mit Krabbenmayonnaise, gebratene Sardinen, um Fisolen gerollte Sardellen oder Ziegenkäse rechtzeitig nachproduziert werden. Die EU-Kulturhauptstadt ist bekanntlich auch ein „Tross“ von Managern und Marketingexperten, vom Tourismus geliebt, aber den Orten wird doch teilweise etwas aufgepfropft. San Sebastián hat das nicht nötig. Die Stadt mit ihrem schönen historischen Zentrum, den schicken Geschäften, den langen Sandstränden, der spannenden Geschichte, den freundlichen Leuten, die an den Zustrom begeisterter Gäste ins Seebad seit Jahrhunderten gewöhnt sind, und eben dem originellen kulinarischen Angebot, kann über zu wenig Fremdenverkehr wahrlich nicht klagen. Außerdem gibt es ein wichtiges Film- und ein Jazz-Festival. Trotzdem hat man sich für das Kulturhauptstadtjahr, das um ein Haar an politischem Widerstand („Was brauchen wir das?“, ein auch hierzulande bekannter Einwand) gescheitert wäre, etwas Besonderes einfallen lassen. Die 49 Millionen Euro von Stadt, Region und spanischem Kulturministerium sollten nicht wie in anderen Kulturstädten in In­­frastruktur fließen, sondern in Projekte investiert werden. Ein zentrales Ziel ist, Frieden zu schließen. Bis 2011 sorgte die baskische Separatistenorganisation ETA mit terroristischen Anschlägen für Angst und Schrecken, dann wurden die militärischen Operationen eingestellt, es wurde mit der Entwaffnung der Rebellen begonnen, und 2014 meldete die ETA ihre Auflösung. Doch wird vermutet, dass es immer noch „Schläfer“, militante Kämpfer, gibt.

Ein angekündigtes Tanzevent.
Ein angekündigtes Tanzevent.(c) Kulturhautstadtjahr San Sebastián

Nationalismus. Die Beziehung zur spanischen Zentralmacht ist ähnlich ambivalent wie bei den Katalanen. Die stärkste politische Gruppierung im Baskenland ist seit 1979 die Baskische Nationalistische Partei. Mit dem Kulturhauptstadtjahr soll die internationale Ausrichtung gestärkt werden. Die 400 Veranstaltungen sind imaginären Leuchttürmen zugeordnet, die sich um die Themen Frieden, Leben und Stimmen (Vielfalt der Stimmen in der Umgebung) drehen. Zur Eröffnung gestaltete Hansel Cereza, Mitbegründer der Performance-Gruppe La Fura dels Baus, die auch mehrfach in Wien zu Gast war, eine spektakuläre Licht- und Musikshow. Im Tabakalera-Kulturzentrum gastierten die österreichischen Musikbands Leyya und HVOB. In einem ehemaligen Kloster der Dominikanerinnen mit imposantem Kreuzgang im Zentrum der Altstadt ist das San-Telmo-Museum für baskische Kultur untergebracht, dessen moderner Zubau auf den ersten Blick wie eine Festung aussieht. Die Ausstellung zum Kulturhauptstadtjahr widmet sich wichtigen baskischen Künstlern wie Jorge Oteiza, Eduardo Chillida, José Luis Zumeta und Eugenia Ortiz. Sie schlossen sich in den 1960er-Jahren in einer Gruppe zusammen, um gegen das Franco-Regime aufzutreten, das die baskische Kultur unterdrückte und die Sprache verbot. Interessanterweise war allerdings San Sebastián auch die Sommerresidenz des 1975 verstorbenen Militärdiktators Francisco Franco. Auch Juan Carlos urlaubte hier, bevor er König wurde. Eindrucksvoller als die Schau im San-Telmo-Museum sind allerdings die monumentalen Gemälde in der ehemaligen Klosterkirche, auf denen das altbaskische Leben abgebildet ist: vor allem der Kampf mit dem Meer. Das Baskenland war auch Zentrum der Hexenprozesse und der Inquisition.

In den kommenden Monaten gibt es eigentlich ständig einen Grund, in das jederzeit einladende Baskenland zu reisen – wo es zwar oft regnet, sich aber die Winter­temperaturen in den vergangenen Jahren von acht auf 18  Grad mehr als verdoppelt haben. Time Machine Soup im Februar erzählt und serviert die Kulturgeschichte der Suppe. Beim Stop War Festibala Ende März spielen Musiker für den Frieden, und Friedensaktivisten stellen sich vor. Beim Music Box Festibala gibt es rund um das Jahr zwölf Konzerte an ungewöhnlichen Orten, darunter am 10.  April: Die Sleaford Mods (Post-Punk/Hip-Hop-Duo aus Nottingham) kommen ins Museum Albaola, eine ehemalige Werft für Walfangschiffe. Baskische Seeleute segelten im 16. Jahrhundert bis nach Kanada. Zum Kulturhauptstadtjahr werden die Beziehungen aufgefrischt: Es wird ein altes Walfang-Schiff, die San Juan, von Freiwilligen originalgetreu nachgebaut. 2019 soll das Schiff nach Neufundland segeln. Im Mai findet das World-Puppet-Festival in San Sebastián statt, ab Juni gibt es einen „Sommernachtstraum“ zu sehen: im Cristina-Enea-Park. Die Besucher sollen ein Gesamtkunstwerk von Literatur, Gastronomie, Musik und Theater genießen – als Gäste auf der Hochzeit von Hermia und Demetrius. Schriftsteller korrespondieren über Tschechow und Shakespeare und reflektieren ihre Rolle in Konflikten. Der Friede ist fragil, das merkt man an dem um allseitige Beruhigung bemühten Kulturhauptstadtprogramm, dessen Marketing und Konzept sich nicht immer leicht erschließt, die Texte sind teilweise unverständlich. Man kann die labile Lage aber auch an der allerorts sehr präsenten Polizei erkennen.

Altstadt. Ein Lokal neben dem anderen, jeder hat seine Geheimtipps.
Altstadt. Ein Lokal neben dem anderen, jeder hat seine Geheimtipps.(c) Kulturhautstadtjahr San Sebastián

Biarritz. Fährt man ins nahe französische Biarritz, sieht man eine riesige Baustelle. Bald soll ein TGV Madrid mit dem spanischen und dem französischen Baskenland verbinden. Noch vor gar nicht langer Zeit erkauften die Franzosen den Frieden auf ihrer Seite des Baskenlandes, indem sie ETA-Leuten Unterschlupf boten. In Biarritz kann man einen Führer kaufen, in dem Euskal Herria, das Baskenland, mit seinen vielen verschiedenen Gebieten abgebildet ist, von Bilbao bis Pamplona, von Bayonne bis Vitoria-Gasteiz. Apropos: Bilbao, noch so eine tolle Stadt nahe San Sebastián mit dem Guggenheim-Museum, das inzwischen angeblich seine gewaltigen Baukosten zehnmal eingespielt hat – durch Umwegrentabilität. Bis 21. Februar läuft dort noch die geniale Ausstellung „Making Africa – A Continent of Contemporary Design“, eine Schau, in der gezeigt wird, wie afrikanische Künstler mit Afrikaklischees umgehen, diese quasi aufknacken und aufarbeiten. Bilbao hat sich seit der Eröffnung von Frank Gehrys Guggenheim-Museum, das im Rahmen eines großen Investitionsplanes gebaut wurde, stark verändert. Aus der verschmutzten Industriemetropole wurde eine schmucke Stadt, die allerdings wesentlich weitläufiger wirkt als San Sebastián. Die Seebäder am Golf von Biskaya wurden im 19. Jahrhundert nicht nur von der eleganten Gesellschaft aufgesucht, um die Tuberkulose zu heilen, sondern auch für das Glücksspiel. Im Casino von Biarritz, das direkt am Strand liegt – Surfer scheuen das kalte Wasser auch im Winter nicht –, ist heute ein Kulturpalast untergebracht, im nicht minder prächtigen Casino von San Sebastián residiert das Rathaus.

Multilingual. Was macht die Basken nun aus? Das frage ich die 31-jährige Ziortza, die Kulturmanagement studiert, in Mexiko gelebt hat und uns das Kulturhauptstadtjahr auf Französisch, Englisch und Spanisch erläutert. Inzwischen lernen viele junge Leute wieder das schwierige Baskisch, das ihre Großeltern noch selbstverständlich sprachen, gegen Francos Diktat. „Wir feiern und essen gern, wir arbeiten viel, und wir sind stur“, sagt Ziortza. Könnte man auch von Österreichern sagen, oder? Die Österreicher teilen auch die Erfahrung eines verschwundenen Großreiches mit den Basken, was Vertrautheit mit der unmittelbaren Umgebung, aber auch Phantomschmerzen verursacht. Noch etwas gibt einem zu denken: Merkwürdig, dass sich in diesem geeinten Europa so viele Regionen Autonomie und/oder Ausstieg aus der EU wünschen. Oder ist es nur wie in manchen Ehen: Man kann sich weder entschließen zu bleiben noch zu gehen, und so schaukelt man immer hin und her? Etwas muss Spanien, das doch allein durch seine Sprache und die Beziehungen zu Südamerika wie die USA eine Weltmacht ist, aber doch falsch gemacht haben beim Umgang mit seinen Regionen, dass die individualis­tischen Basken wie die tüchtigen Katalanen von der Zentralmacht fortstreben.

Diese Reise ermöglichten das Spanische Fremdenverkehrsamt und die Kulturhauptstadt-Organisation.

Tipp

Fotos. Beim Projekt Talkamara können Besucher ihre Fotos von Veranstaltungen auf eine Website hochladen. So soll eine Karte der Stadt mit Events entstehen (bis Dezember).

Residences. Künstler wurden und werden eingeladen, Werke über San Sebastián zu gestalten (Kulturzentrum Tabakalera).
Tanz. Studenten verbringen eine Woche im Tanzstudio – Dance2gether tourt auch durch Schulen. Im Oktober zeigen sie ihre Künste bei einer Show.

Comics. Generäle teilen die Erdkugel wie einen Braten in Stücke. Historische Ausstellung mit Zeitungen, Cartoons, Comics (Universitätscampus Durango).

Kinder. Der Riese von Altzo will nicht mehr groß sein. Familienoper mit Marionetten, ab 20. März.

Bildende Kunst. San Sebastián und Wrocłav (Breslau), die zweite EU-Kulturhauptstadt dieses Jahres, tauschen jeweils drei bildende Künstler aus, die sich mit ihren Werken vorstellen (ab Juni).

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