„Dalida“: Die Sängerin, die um Liebe bat

„J'attendrai le jour et la nuit“, sang sie. 20-mal brillierte Dalida (hier hervorragend dargestellt von Sveva Alviti) im ausverkauften Pariser Palais des Sports – mit ihrem Discoprogramm, choreografiert von Lester Wilson, der auch „Saturday Night Fever“ prägte.
„J'attendrai le jour et la nuit“, sang sie. 20-mal brillierte Dalida (hier hervorragend dargestellt von Sveva Alviti) im ausverkauften Pariser Palais des Sports – mit ihrem Discoprogramm, choreografiert von Lester Wilson, der auch „Saturday Night Fever“ prägte.(c) Luc Roux
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„Dalida“ ist ein überzeugendes Biopic der tragischen Chansonnière. Scheiterte sie an ihrem Charakter oder an ihrer Zeit? Das bleibt offen. Ab Donnerstag in den Kinos.

In einem überraschend straßennahen Winkel des Cimetière de Montmartre steht eine weiße Statue: Sie stellt Iolanda Cristina Gigliotti dar, geboren 1933 in Kairo als Tochter eines italienischen Geigers, berühmt geworden als Dalida. An ihrer Grabstätte darf sie die ewige junge, im Aufbruch befindliche Frau sein. Die in dunklen Stein gravierte Sonne hinter ihr wirkt wie der Strahlenkranz eines Wesens, das sich den herkömmlichen Schwerkräften des Lebens zu entziehen weiß.

Dem war leider nicht so. Dalida war zwar in ihrer Kunst von höchster Perfektion, ihr Privatleben war aber eine einzige Folge von Tragödien. Das begann mit ihrem Vater, der als Gebrochener aus der Kriegsgefangenschaft kam. Plötzlich war er erratisch und gewalttätig. Dalida flüchtete in Tagträume. Sie jobbte als Stenotypistin, probierte sich als Fotomodell, wurde 1954 Miss Ägypten. 1955 zog sie nach Paris, um zu singen. 1956 wurde sie beim Talentbewerb „Die Nummer eins von morgen“ entdeckt. 30 Jahre später hatte sie über 2000 Lieder aufgenommen, 150 Millionen Platten verkauft und 70 Goldene Schallplatten dafür erhalten.

Fast rechtzeitig zum 30. Todestag bringt nun die französische Regisseurin Lisa Azuelos ihr schlicht „Dalida“ betiteltes Biopic in die Kinos. Eingezwängt zwischen Dalidas erstem Suizidversuch 1967 und ihrem Freitod am 3. Mai 1987, erzählt sie in stilvoll ausgeleuchteten Rückblenden das ganze Leben Dalidas: eine Hochschaubahn der Gefühle, dramatisch wie kaum ein Groschenroman. Die Gefahr eine Filmschmonzette zu produzieren war wohl real. Azuelos umging sie, indem sie dem Geschehen eine Aura des Artifiziellen angedeihen ließ. Die Bildästhetik erinnert zuweilen an die TV-Serie „Mad Men“. Die düstere Handlung wird von den jeweils aktuellen Chansons und Männern vorangetrieben. Bereits das erste Lied schlägt den tragischen Grundton an. Dalida singt „Un po' d'amore“, eine italienische Version des Moody-Blues-Songs „Nights in White Satin“. Ihre Stimme fährt einem durch Mark und Bein: „Auf einem Stein vor der Zeit verborgen, fand ich diese kurzen Worte: Ich bete zu dir. Ich bitte dich um ein wenig Liebe.“ Die Szene endet in einer stummen Rolltreppenfahrt.

„Ich will eine normale Frau sein“

Die hervorragende Dalida-Darstellerin Sveva Alviti greift sich in den Gesangszenen zuweilen ins Gesicht, dann wieder reckt sie die Arme, als würde sie versuchen, an den Himmel zu rühren. Dalidas Bruder Orlando half bei der Umsetzung der Gestikulation, die Dalida so mitreißend machte. Sie konnte damit die Dramatik nach Wunsch erhöhen oder dämpfen. Und manchmal baute sie damit einen Subtext, der die Worte konterkarierte.

Regisseurin Azuelos, Tochter der Chansonnière Marie La Fôret, brachte ihr Wissen über die Musikszene der Siebzigerjahre ein. So wird man Zeuge, wie Radioleute, Konzerthallenbetreiber und Plattenlabelbosse die Karriere Dalidas designen und sich bemühen, sie auf Kurs zu halten. Auch gegen ihre Gefühle und Wünsche. „Babys zerstören den Mythos eines Stars“, sagt ihr Entdecker und erster Ehemann, Lucien Morisse, ihr einmal: „Eine Karriere ist doch fast so etwas wie ein Baby.“ Doch sie steht zum konservativen Frauenbild jener Zeit: „Ich will für dich kochen, ein Kind von dir bekommen – eine normale Frau sein“, sagt sie. Das Schicksal hielt anderes für sie bereit. So eine nach wenigen Wochen gescheiterte Ehe, eine Abtreibung, reichliche Affären mit Jüngeren und den Suizid von drei ihrer Geliebten.

Tapfer beschwor sie die Macht der Liebe weiter. „Wir waren jung und glaubten an den Himmel“, flötete sie in „Le temps des fleurs“, pries in „Ja me sens vivre“ die fleischliche Seite der Liebe: „Mein Körper ist dazu da, um mit dir zu schlafen“, hieß es darin gar. Neben ihrem Slalom der Liebschaften antizipierte sie neue musikalische Trends: Mit Discoschnalzern wie „Gigi L'amoroso“ und „J'attendrai“ eroberte sie Mitte der Siebzigerjahre ein internationales Publikum. Doch ihr vordergründig zelebrierter Hedonismus hatte einen Riss. Kurz vor ihrem ersten Suizidversuch wälzte sie sich mit ihrem italienischen Sangeskollegen Luigo Tenco in den Laken, im Zimmer 76 des Hôtel Prince de Galles. Sie diskutierten über Martin Heidegger. Dalida korrigierte ihn sogar: Dass der Philosoph das Leben als ein auf den Tod orientiertes Sein definierte, wollte sie nicht akzeptieren und widersprach: „Man muss sich zur Liebe hinbewegen.“

21 Jahre danach sah sie es dann offenbar doch anders, nahm im selben Hotelbett ihre Überdosis Schlaftabletten. Sie wollte den Tod, und er wollte sie schließlich auch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2017)

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