Josefstadt: Todesmarsch auf der Theaterbühne

(c) APA (HERBERT PFARRHOFER)
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Herbert Föttinger animiert das Ensemble bei Hassler/Turrinis „Jedem das Seine“ zu feinen Nuancen. Wirklichkeit und Bühne klaffen dennoch weit auseinander.

Jüdische Häftlinge, die zu Ende des Zweiten Weltkriegs durch Österreich getrieben wurden – Zehntausende wurden ermordet, starben an Entkräftung – werden in einem Stadel eingesperrt. Ein Sänger des Budapester Operettentheaters studiert mit ihnen „Wiener Blut“ ein. Ein Bauer, seine Frau und die Magd machen mit. Nachdem der Dorfgendarm dem bis dahin munteren Sänger (grandios: Norman Hacker) die Pistole an den Kopf gehalten hat, steht dieser unter Schock und sprudelt die wahrhaft wirre Geschichte von „Wiener Blut“ heraus. Es ist eine der besten Szenen des Abends. Doch nur wenige trauten sich bei der Premiere von „Jedem das Seine“ am Donnerstag im Josefstädter Theater zu lachen.

Die Sequenz verrät wie vieles andere Peter Turrinis Handschrift. Mit seiner Partnerin Silke Hassler hat er das Stück verfasst. Turrini hat Erfahrung mit klassischen Stoffen. Er bearbeitete u.a. den „Jüngsten Tag“ nach Beaumarchais oder Goldonis „Wirtin“– Letztere war jüngst in der Josefstadt zu sehen. Es gibt wenige, die sich so herrlich über Klassiker lustig machen können wie Turrini. Regisseur Herbert Föttinger freilich setzt in seiner Inszenierung allzu sehr auf grauen Realismus – der zunehmend nicht mehr ideal geeignet scheint, der NS-Zeit gerecht zu werden. Der Vergleich mit Elfriede Jelineks „Rechnitz“ – gleiches Thema – drängt sich auf, er fällt zugunsten von Jelinek aus, auch wenn man zögert, den Begriff „nicht nur sprachlich viel origineller“ bei einer so grausamen Geschichte zu wählen.

Tolles Paar: Schüsseleder, Samarovski

„Jedem das Seine“, der zynische Spruch prangte am Tor des KZ Buchenwald. Mancher Großkonzern geriet in die Bredouille, weil er das alte Wort – ein Rechtsgrundsatz, dessen Wurzeln in die Antike zurückreichen– für seine Werbung verwendete. In der Josefstadt hat man das Gefühl, Stücke dieser Art schon tausendmal gesehen zu haben. Eine Kluft tut sich auf zwischen Theater und Realität. Die Bühne kann dem Entsetzlichen vielleicht nur mehr mit Hyperrealismus, der Farce, gerecht werden.

Dennoch: eine ansehnliche Produktion. Jedenfalls deutlich besser als der verunglückte „Moser“ von Franzobel. Turrini packte den Plot mit seiner Theaterpranke: Branko Samarovski, vom Burgtheater ausgeliehen, wirkt authentisch als Bauer, wie der Alpensaga entsprungen. Elfriede Schüsseleder ist die Bauersfrau. Traumatisiert vom Tod des einzigen Sohnes, hat sie dennoch nicht ihre Menschlichkeit vergessen. Sie versorgt ihren Mann mit Bier und die Häftlinge mit Suppe. Kurt Sobotka berührt als Gymnasialprofessor, den das Klavierspielen zum Leben erweckt. Seine Gattin (Maria Urban) umsorgt ihn liebevoll.

Ein paar herrlich böse Pointen serviert Gideon Singer als Schneider aus Budapest. Passend bizarr und undurchschaubar: Paulus Gaspari als Hitlerjunge Edi, der das Horst-Wessel-Lied singt, was der Schneider mit einem trockenen „A schöne Stimm hat er“ quittiert. Edi wird in den Chor integriert – als Judas. Mangels besseren Stoffs müssen die Passionsspielkostüme für „Wiener Blut“ herhalten. Mit unbewegter Miene bringt Edi am Ende die Nachricht vom Tod des Führers in den Stadel. Er ist ein echter Wechselbalg diktatorischer Zeiten; während sich die Magd Poldi (Daniela Golpashin), deren SS-Verlobter verschollen ist, zurück zu Jesus flüchtet. Rolf Langenfass färbte die Bühne tiefschwarz, auch seine Kostüme zeichnen Menschen, die sich selbst aufgegeben haben. Die Kunst hebt sie noch einmal kurz empor, bevor die Vernichtung sie endgültig verschlingt. „Jedem das Seine“ ist treuherzig, gewinnend, pathetisch sentimental, vor allem aber etwas altmodisch-klischeehaft.

2007 wurde das Stück als Volksoperette in Regie von Michael Sturminger am Klagenfurter Stadttheater uraufgeführt. Die Musik, die Schrillheit und Zwischentöne gibt, damals von Roland Neuwirth, scheint hier zu fehlen. Christian Brandauers Begleitung setzt dramaturgische Akzente, die freilich betonen, was ohnehin deutlich ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2010)

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