Lieber Medien als Medientheater

„Kommune der Wahrheit. Wirklichkeitsmaschine“
„Kommune der Wahrheit. Wirklichkeitsmaschine“(c) ARMIN SMAILOVIC
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Kultregisseur Nicolas Stemann enttäuscht mit seiner neuen Kreation „Kommune der Wahrheit. Wirklichkeitsmaschine“: eher ein banaler Mischmasch.

Seit Samstag ist eines der Großprojekte der Wiener Festwochen im Museumsquartier zu sehen, eine Uraufführung, ein Auftragswerk: „Kommune der Wahrheit. Wirklichkeitsmaschine“. 120 Stunden hat sich Nicolas Stemann mit seinem Ensemble eingeschlossen, um das Phänomen Medien zu erkunden: Die Akteure wirkten erschöpft. Viel ist fürs Erste bei diesem Experiment nicht herausgekommen. Vielleicht wird es ja noch. Wien ist nur der Try-out für das Hamburger Thalia Theater, wo die Produktion ab Herbst gezeigt wird. Am Burgtheater hat Stemann großartige Inszenierungen herausgebracht, etwa Elfriede Jelineks „Die Kontrakte des Kaufmanns“, eine Hohnrede über Wirtschaftskrise und Kleinanleger. Gewichtiger Stoff à la Jelinek fehlt diesmal. Obwohl namhafte Experten zu Wort kommen: „ZiB“-Anchorman Eugen Freund oder der stets originelle Peter Weibel.

Zunächst wird ein Brainstorming des Ensembles zum Thema präsentiert. Die Künstler wollen, welche Überraschung, eine Gegenwelt zu den Medien schaffen. Am Schluss greifen sie diesen Gedanken noch einmal etwas erfinderischer auf als am Anfang. Die Idee ist nicht neu: Theater als Schutzraum gegen die Welt. Die Kunst lockt heute viele, die der Realität entfliehen wollen. Was geschieht sonst? Es werden die aktuellen Nachrichten rezitiert, während der Aufführungsserie jeden Tag andere. Die Schauspieler tragen Kopfhörer und Schutzanzüge. Täglich frische Wortfluten einzustudieren, muss anstrengend sein, dementsprechend holprig klingt teilweise der Text.

In einem Institut für posttraumatische Belastungsstörungen wird Sekt gereicht. Ein „Märchen“ vom Engagement ehemaliger Spitzenpolitiker und -militärs von Bush bis Petraeus bei Hedgefonds, die ihre Geschäftspraktiken im Namen tragen wie Cerberus & Co. wird verlesen. Auf die Meldung, dass der US-Schweinefleischriese Smithfield an China verkauft wird, folgt eine Passage aus Gustav Mahlers Rückert-Liedern: „Ich bin gestorben dem Weltgetümmel“.

Kalauer wie „Die Märkte sind schwach, aber ich komme wieder auf die Beine, auf die Bühne“ erinnern direkt an Jelinek, sind aber leider nicht so witzig wie die sprachspielerischen Kaskaden der Literaturnobelpreisträgerin. Als Stemann das Publikum auffordert, zu buhen bzw. zu jubeln, klingen die Buhs ziemlich überzeugend. Bereits kurz nach Beginn der Aufführung verlassen die ersten Besucher polternd den Saal.

Kindergeburtstag mit Lagerfeuerromantik

Stemanns „Schnelle Theatrale Eingreiftruppe“, wie er seine wahrlich opferbereite Mannschaft nennt, blickt den Flüchtenden hinterher: „Wir können auch was Ordentliches spielen.“ Ordentlich muss es nicht sein, aber interessant. Darin war Stemann bisher gut. Der gebürtige Hamburger nimmt lustvoll Anleihen bei Schlingensief, Marthaler, bei Pop, Film, Trash. Seine Aufführungen wirken wie angewandte Chaostheorie.

„Vergleiche dich, erkenne du bist nichts“, steht auf einem Packpapier-Transparent – vermutlich nach Goethes „Tasso“ („Vergleiche dich, erkenne, was du bist“). Musik („Met you by surprise“) erklingt. Spielzeughubschrauber surren durch die Luft. Eine Wand mit Zeitungsschnipseln wird hochgezogen. Es wird gekocht, gegessen. Videos flimmern. Die Spieler schleppen Heu herbei (Flüchtlinge?), verkleiden sich als Hunde, beschnüffeln Leichen. Der Gipfelpunkt des Flachsinns ist erreicht, wenn die Nullen der Schulden Europas gezählt werden, die Akteure sich wieder und wieder zu Boden fallen lassen, um die 100.000 Toten in Syrien plastisch zu machen.

Schließlich schafft Eugen Freund im „ZiB“-Design die Wirklichkeit ab – und lässt sich hernach live mit der Kindergeburtstagsbande am Lagerfeuer nieder, um wahrhaft wesentliche Fragen zu beantworten: Warum und wie kommen die Nachrichten in die Nachrichten? Da wird selbst der freundliche Freund ungeduldig: „Das wird den Leuten jetzt langweilig“, sagt er mit seiner wohltönenden Stimme, sodass es gar nicht gemein klingt. Zum Schluss verliest er ein Gedicht, das jäh abbricht, weil es herausgeschnitten wurde. Schade. Die letzte Viertelstunde von den zweien insgesamt ist die beste. Dieser Performance fehlt es schlicht an Substanz. Die zur Schau getragene Kurzweil kann das nicht verbergen. Die bildnerische Originalität hält sich in Grenzen, inhaltlich gibt es viele Binsenweisheiten. Die Magie der Medien, die sich die vergangenen 100 Jahre enorm verändert haben, wird kaum erforscht.

Wir versuchen jetzt nicht auf die vielen interessanten Publikationen zu diesem Thema („Digitale Aufklärung“, erscheint im September beim Hanser-Verlag) zu verweisen, uns nicht zu erhitzen über die Subventionen, die für diesen Unsinn verschleudert werden. Wir wollen Stemann-Fans bleiben. Aber diesmal fällt es wirklich nicht leicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2013)

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