Festwochen: Eine Reise durchs Gehirn

Riding on a cloud
Riding on a cloud(c) Brut-Künstlerhaus
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„Riding on a cloud“ von Rabih Mroué im Brut-Künstlerhaustheater: kurz, dicht, reich und erschütternd.

Was bleibt vom Ich, vom Individuum, wenn das Gehirn nicht oder nicht mehr richtig arbeitet? Ein großes Thema, das alle beschäftigt und Angst macht. Der Bruder des libanesischen Künstlers Rabih Mroué, Yasser, erzählt bei den Festwochen im Brut-Künstlerhaustheater seine Geschichte. Der Enkel eines marxistischen Philosophen, aus einer Großfamilie stammend, wird im libanesischen Bürgerkrieg angeschossen und am Kopf getroffen. Er überlebt nur durch einen Zufall, weil ein Arzt ihn in einem Raum mit Leichen entdeckt, Yasser atmet noch. Er wird operiert, doch die Schädigung des Gehirns ist nicht völlig heilbar. Yasser leidet an Aphasie, einer Sprachstörung. Das Unheimliche ist: Man merkt kaum etwas. Yasser sitzt vor einem CD-Berg, teils spricht er live, teils vom Band.

Subtiles Spiel mit Schein und Sein

Dies ist keine Krankengeschichte aus der flotten TV-Serie „Grey's Anatomy“ oder andere gut gemachte Massenware für ein Publikum, das sich an schnellen Lösungen großer Probleme ergötzen möchte. Allein die Langsamkeit ist wohltuend. Dennoch ist die Performance, die nur 65 Minuten ohne Pause dauert, atemberaubend dicht. Yasser erzählt von seiner Kindheit, von seinen Träumen, ein Künstler zu werden, er singt. Rabih hat die Erzählung mit subtilen Videos illustriert, vom Zeugnis für Yasser im Kindergarten über das Gebäude, aus dem der Schuss kam, bis zu stilisierten Aufnahmen vom Geschehen in Yassers Kopf.

Was dieser tatsächlich erlebt, etwa dass Lenin und Majakowski bei ihm einziehen, was er imaginiert, es bleibt in Schwebe. „Sein oder Nichtsein“, das berühmte Zitat aus „Hamlet“ gewinnt eine ungeahnte Schwere in diesem Ambiente, das so fragil und zart wie das Leben selbst ist. Wie wirklich ist das Dasein? Yasser kann zwischen Realität und Fiktion nicht unterscheiden, was im Theater geschieht, hält er für echt. Ein Gegenstand im Film bleibt für ihn unsichtbar, nur wenn dieser auf dem Tisch liegt, kann er ihn sehen.

Der Zuseher kann alle diese Erscheinungen mitverfolgen und sich fragen: Wo stehe ich? Was sehe ich? Und auch ungetrübte Momente gibt es, wenn Yasser sich verheiratet. Die Aufführung bietet eine überaus gelungene Fusion von Theater und bildender Kunst. Am Schluss spielen die beiden Brüder gemeinsam auf der Gitarre, Rabih schlägt die Saiten, Yasser greift die Akkorde. (bp)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2014)

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