Russland total in 75 Minuten

Tararabumbia
Tararabumbia(c) Festwochen
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„Tararabumbia“. Bei den Wiener Festwochen lässt es Dmitry Krymow krachen: Seine Moskauer Truppe fegt mit Tschechow über den Laufsteg.

Die Halle E des Museumsquartiers wurde am Mittwoch für ein Bildertheater aus Moskau zum Laufsteg umgebaut. Auf beiden Längsseiten gibt es simple Tribünen wie bei einem Fußballplatz, sie säumen ein Podest mit einem 35 Meter langen Förderband. Noch bewegt es sich nicht. Im Halbdunkel tritt ein Bub in kurzer Hose herein, mit einer Schachtel, daraus fallen kleine Klötze. Er sammelt sie wieder ein. So viele Bausteine für Geschichten. Er geht ab, das schwarze Band kommt für 75 Minuten in Fahrt.

Aus dem Nebenraum rechts zieht das Ensemble von Dmitry Krymows (*1954) historischer Revue „Tararabumbia“ vorbei, verschwindet links – gut 70 Darsteller, Musiker, Sänger in hunderten Verkleidungen. Was für ein Spektakel! 2010 wurde es uraufgeführt, nun ist es in Wien zu sehen. Krymow, Sohn einer Theaterkritikerin und eines Regisseurs aus Moskau, studierte Bühnenbild, wandte sich der bildenden Kunst zu. Seit seiner Inszenierung von „Hamlet“ 2002 wird der Theatermacher gefeiert, zu Recht, wie dieses laute Gastspiel beweist. „Tararabumbia“ ist eine Hommage an den Dramatiker Anton Tschechow. Doktor Tschebutykin summt dieses Lied an einem dramatischen Wendepunkt in den „Drei Schwestern“. Nach Moskau wollen sie, nach Moskau! Sie kommen an diesem Abend reichlich vor, in langen Kleidern, auf Stelzen und in Hysterie, so wie diverse Figuren, etwa der Dichter Trigorin aus dem Drama „Die Möwe“, dutzendfach erscheinen. Ein Gaukler zum Beispiel jongliert mit drei Möwen über das Laufband. Selbst Tschechow taucht auf, bei seinem Begräbnis, als elendslange Puppe. Seine Kiste trägt die Aufschrift „Austern“, so wie damals 1904 bei der Überführung nach Moskau. Es wimmelt von Anspielungen, auf Krieg und Liebe, Terror, Theater.

Drei Möwen, aber keine Birken

Und der „Kirschgarten?“ Wurde laut Ansager längst nach Japan verkauft. Schon tänzeln Damen und Herren grazil zum Kirschblütenfest daher. Immer wieder schleppen Soldaten einen verwundeten Baron herum, andauernd kommt es zu Kopfverletzungen, Schusswunden. Gezeigt wird auch drastisch ein Selbstmord im Wintergarten. Der verkannte Dichter? Das kann man rekonstruieren. Die russischen Zitate, all diese literarischen Anspielungen werden in deutschen Übertiteln eingeblendet. Aber nicht nur Tschechows Fantasien kommen als bloße Wortfetzen vor. Für Krymow sind sie vor allem Kristallisationspunkte, um Jahrhunderte russischer Geschichte zu assoziieren, von den Helden der Arbeit bis zu den Waggons für den Gulag.

Weltliteratur also und Russland total, samt den 74 Jahren Sowjetunion als Intermezzo? Nicht ganz. Auf drei Birken zum Beispiel wird verzichtet. Dennoch ist es kaum zu glauben, wie viel Atmosphäre diese kurzweilige Parade vermittelt. Da tritt die Nationalmannschaft der UdSSR im Synchronschwimmen auf, gefolgt von einer Menge Rotarmisten, mit einem Marionettentod als grimmigem Schlussmann. Das Bolschoi-Ballett wird angekündigt– es trippeln Frauen und bestrumpfte Männer mit Bärten und Fellmützen herein. Alle tragen sie Tutus und Sakkos. Es wird getrommelt, gesungen und getanzt, die Blasmusik macht sich Luft.

Kurz – das ist ein Zirkus, der volle Aufmerksamkeit verdient. Am Ende aber bleibt die Bühne leer, schneller und schneller dreht sich das Band. Bedrohlich brummt die Geschichte. Stille. Starker Applaus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2014)

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