Hamlet wegen fahrlässiger Tötung verurteilt

(c) Wiener Festwochen
  • Drucken

„Please, Continue (Hamlet)“ stellt Shakespeares Helden vor Gericht. Der Prozess zieht sich.

Der Fall ist an sich klar und literarisch genau belegt. In William Shakespeares Tragödie „Hamlet“ hat der Protagonist einen heftigen Streit mit seiner Mutter Gertrud. In deren Schlafzimmer aber belauscht zugleich mit ihrem Wissen Höfling Polonius das Gespräch. Er will herausfinden, wie es um die Beziehung seiner Tochter Ophelia zu Hamlet steht. Der aber zieht, als er ein Geräusch hört, seine Waffe und sticht damit in den Vorhang, um (wie er behauptet) eine Ratte zu töten. Hat er den verhassten Onkel Claudius dahinter vermutet? Über diese Tat rätselt man seit gut vierhundert Jahren. Performance-Künstler Yan Duyvendak macht daraus einen Prozess, der von Roger Bernat auf der Bühne umgesetzt wird. Die Geschichte des Dänen-Prinzen wird mit einer Parallele aus dem Prekariat von heute verschränkt: Mutter und Sohn sind, wie sie zu Protokoll geben, länger schon arbeitslos. Auch bei ihnen endet eine Hochzeitsfeier mit viel Alkohol recht blutig.

Auf der Bühne sitzen echte Richter, Staatsanwälte und Verteidiger, nur der Angeklagte Hamlet (Thiemo Strutzenberger) sowie die Zeugen Ophelia (Julia Jelinek) und Gertrud (Susi Stach) sind Schauspieler. Bei den Wiener Festwochen gab es am Wochenende im Odeon die Österreich-Premiere, mit der Richterin Susanne Lehr als resoluter Vorsitzender, dem Anwalt Rudolf Mayer als Verteidiger und Stefanie Schön als Staatsanwältin. Sogar die Beisitzer und Sachverständigen arbeiten sonst tatsächlich bei Gerichten.

Fast alle tragen hier Springmesser

Was als Idee fasziniert, erweist sich in der Praxis bald als etwas langatmige Routineverhandlung in reduzierter Form. Die Suche nach der Wahrheit ist mühsam. Hamlet wirkt bei der Befragung verschlossen; ja, fast alle Burschen dieser Gegend tragen Springmesser, ja, er habe eine Ratte gehört, die gebe es daheim zuhauf. Auch Mutter und Exfreundin scheinen es mit der Wahrheit nicht genau zu nehmen, verwickeln sich in Widersprüche. Es wirkt wie die Langversion von Verhandlungen im TV, die Fakten und Fiktion mischen. Nur darf hier das Publikum mitspielen: Acht der Zuseher werden vor einer Unterbrechung gegen Ende Geschworene.

Das Urteil bei der Premiere: Freispruch vom Mord, zehn Monate für fahrlässige Tötung, sieben davon bedingt. Der Verteidiger hat mit seiner umgangssprachlichen Art offenbar die richtige Strategie. Zu denken gibt, wie unterschiedlich bisher bei mehr als 80 „Prozessen“ entschieden wurde. Von Freispruch und Schmerzensgeld für Hamlet bis zu langen Haftstrafen war alles drin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.