Festwochen: Allende und die Spin-Doktoren

(c) Pablo de la Fuente/Wiener Festwochen
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Hätte man Pinochet verhindern können? Und was wäre dann passiert? „La Imaginación del Futuro“ ist ein irres Spiel, das sich an keine Regeln hält.

Die Zeit: heute. Die Minister trinken Cola light und vergnügen sich mit Pornos im Internet, wenn sie nicht gerade über die heutige Jugend schimpfen, die sich ja nur mehr auf Facebook herumtreibt. Dazwischen bereiten sie mit einer ins Irre gesteigerten Professionalität den schon tattrigen Präsidenten auf eine wichtige Ansprache vor: Er muss cooler wirken, also her mit einer roten Krawatte. Oder doch nicht, zu kämpferisch, er soll sympathischer rüberkommen, auch fürs Bürgertum wählbar. Also werden ein paar Schnöselkinder aus einer Privatschule zum Aufputz organisiert. Und bitte, bitte, Herr Präsident, nicht so dramatisch! Die Leute bekommen es ja mit der Angst zu tun!

Die Zeit: 1973, und jede Angst ist berechtigt. Salvador Allende hat sich in den Präsidentenpalast Moneda zurückgezogen, die Putschisten fordern seinen Rücktritt, sie drohen, den Palast zu bombardieren, aber Allende bleibt und hält eine dramatische Rede: „Es ist das letzte Mal, dass ich mich an euch wende“, sagt er. „Ich werde nicht zurücktreten. In dieser historischen Situation werde ich meine Loyalität gegenüber dem Volk mit dem Leben bezahlen.“ Das waren die Worte.

Roberto braucht Geld

Der chilenische Regisseur Marco Layera und seine Truppe La Re-sentida mischen in „La Imaginación del Futuro (Fantasie für morgen) die Zeitebenen, mixen Geschichte und Fiktion so raffiniert, dass man irgendwann nicht mehr weiß, wo man sich befindet, was auch egal ist, manche Fragen sind nämlich geblieben: Schreibt wirklich das Volk die Geschichte? Was, wenn nicht? Oder anders: Wenn es nicht mitspielt? Wann geht man Kompromisse ein? Reicht Idealismus? Reicht er als Entschuldigung?

Und gerade, wenn wir uns daran gewöhnt haben an dieses meist vergnügliche, zum Teil beklemmende, immer virtuos ausgeführte Spiel mit den Ebenen, legt einer der Schauspieler seine Rolle ab und wendet sich an uns, das Publikum: Man habe erkannt, dass das Soziale wichtiger sei als das Ästhetische und so ein Theaterstück ohnehin nicht viel bewege. Darum habe man Roberto mitgenommen, einen Zwölfjährigen, dessen Vater tot und dessen Mutter Putzfrau ist, der also eigentlich in Chile keine Chance hat, und trotzdem Chirurg werden will: Das Publikum soll spenden! Und was dann geschieht, ist eine großartige Abhandlung darüber, wie wir uns selbst beim Spenden auf die Schulter klopfen, wie wir auf Ansprüche reagieren und ausweichen – und wie man uns am besten ein schlechtes Gewissen macht.

Aber zurück zum Präsidentenpalast: Dort spitzt sich die Lage zu – und die Kameras sind live dabei. Die Bomben schlagen ein, die Putschisten stehen vor der Tür. Die Spin-Doktoren sind gescheitert. Nur eines ist ihnen geglückt: Die Aufnahmen sind toll.

Brut im Künstlerhaus: 2., 3. Juni, 20 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2015)

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