Festwochen: High Heels, Schnee und Honig

(c) Phile Deprez/Wiener Festwochen
  • Drucken

„Je ne suis plus une femme noire“ und „We Don't Speak to Be Understood“ im Künstlerhaus: Tanz und Comedy, zweierlei Kleinkunst, unterschiedlich überzeugend.

Die Wiener Festwochen sind ein überwiegend ernstes Festival, das die Leute zum Denken und nicht zum Lachen bringen will. Ob Shakespeare oder Civil Wars, Antigone oder Afrika, wie in der Schule ist oft die Lehre wichtiger als die Unterhaltung. Spaß ist sowieso verpönt, aber auch intelligenter Humor ist selten. Und es gibt eine spürbare Ressourcen-Verteilung in Klein-und Großproduktionen. Wenn Frank Castorfs aufwendige „Brüder Karamasow“-Inszenierung nach der Premiere abgesetzt werden muss – weil die Schauspieler von sechs Stunden Brüllen heiser sind, wie zu hören war – wird das hingenommen.

Andere müssen sich mit budgetären Peanuts begnügen. Da fällt dann schon mal das Licht aus, wenn Kettly Noël ihr „Je ne suis plus une femme noire“ („Ich bin keine Schwarze mehr“) zeigt – immerhin eine Uraufführung; bis 8. Juni ist die Produktion im Künstlerhaus zu erleben. Angeblich geht es um „Urknall und Neuanfang“ der Welt. Davon kann zwar keine Rede sein, erzählt wird aber mittels Tanz und Musik vom brutalen Anpassungsprozess einer Frau: Erst wird Noël als Protagonistin im Kreis vor den Zuschauern herumgeführt wie die „edlen Wilden“ bei „Tier-und Menschenschauen“ im 19. Jahrhundert. Später hängt sie an einer Leine, presst ihre Füße in High Heels, windet sich mühselig und schmerzhaft durch einen dürren Baum und wird mit schwarzen Bändern gefesselt. Dazu säuselt Nat King Cole „Perfidia“. Doch nicht um die böse Liebe geht es hier, sondern vor allem um Eingriffe, die Realität und die (Model-)Karriere in die Existenz eines Menschen bedeuten.

Machtkampf und Missverständnisse

So ist auch die Bemerkung im Ankündigungstext zu verstehen, Noël hinterfrage „die Körperlichkeit des Schwarzseins“, die Hautfarbe verstärkt den Kontrast zwischen dem natürlichen Sein und den Anforderungen der Welt, wie sie jeder erlebt. Zu viel sollte man nicht interpretieren. Tanz ist ein abstrakt-ästhetisches Ausdrucksmittel, politische Bedeutungen mag sich jeder zusammenreimen – oder eben nicht. Kettly Noël und ihr Partner Joël Andrianomearisoa schaffen in 45 Minuten dichte Momente der Schönheit, der Annäherung, der Einsamkeit, des Leidens: ein, trotz der Kürze, besinnliches Entschleunigungs-Erlebnis. Geduld ist auch für das Stück des Genter Duos Peter Ampe und Benjamin Verdonck vonnöten: „We Don't Speak to Be Understood“, der Titel ist genial und wahr, die Aufführung großteils sprachlos und bis auf das ganz witzige Finale mit Film-Parodien („Titanic“) eher mühsam. Zu Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ zelebrieren Ampe und Verdonck, wenn man so will, Rituale von Missverständnissen: Zunächst putzt Verdonck seine Zähne, dann springt Ampe hinter dem Kühlschrank hervor, die beiden vollführen ein kleines Rauf-Duell. Verdonck lässt Honig in seinen Mund fließen, Ampe sperrt den Mund auf, der Honig verklebt seinen Bart. Ampe zieht sein T-Shirt aus und wickelt seinen Bart darin ein.

Verweht im Trockeneis-All

Verdonck liegt flach am Boden, während Ampe über ihn drüber läuft, hinauf auf einen Tisch, der Toaster stößt bedrohliche schwarze Rauchwolken aus, später im Trockeneis-Nebel verflüchtigt sich der Geruch. Ampe sitzt im Schnee und friert, Verdonck wickelt sich warm ein, es nervt ihn, dass Ampe sich an ihn lehnt und schließlich auf seinen Schoß sinkt. Die beiden beschweren einander mit dem Kühlschrank – und tauschen im Dunkeln, während der Mond rot leuchtet, schnell die Position. Sie schmücken einen Weihnachtsbaum und werden im Sturm beinahe in ein fiktives All geweht. Eine Mischung aus Ionesco ohne Worte und Chaplin-Variation scheint diese einstündige pausenlose Aufführung zu sein, die weniger komisch als läppisch wirkt und ihren treffenden Titel keineswegs einlöst.

Manchmal kann man sich nur wundern über den Dilettantismus, den sich das Theater leistet, während der Film noch bei der x-ten Schüler-Komödie, dem x-ten Tanz-Film, der x-ten Screwball-Variation eine, wenn auch polierte, Perfektion bis ins kleinste Detail bietet. Und man gibt sich keineswegs damit zufrieden, dass das Publikum nun mal gern und auch Billiges belacht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.