Wiener Festwochen: Sex, Crime und Clubbing mit Dionysos

Probe zu Mount Olympus von Jan Fabre im Festspielhaus Berlin
Probe zu Mount Olympus von Jan Fabre im Festspielhaus BerlinWonge Bergmann
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„Mount Olympus – To Glorify the Cult of Tragedy“ von Jan Fabre führt in ein lebendes griechisches Museum: Eine geniale Aufführung, nicht zuletzt dank der ausführenden Künstler, Tänzer, Spieler, Sänger.

Wer heute an Theater denkt, dem fällt nicht als erstes Gesellschaftsveränderung ein. Zur Zeit der alten Griechen war das anders. Ihr Theater veränderte die Welt, ihre Welt und damit auch jene Europas. Das griechische Theater empfahl die Abschaffung zerstörerischer und schädlicher sozialer Praktiken: Krieg, Mord, Blutrache und Inzest. „Mount Olympus“ von Jan Fabre, vergangenes Wochenende bei den Wiener Festwochen im Museumsquartier zu erleben, erzählt bildhaft und farbenfroh von der Gesellschaftsreform des griechischen Theaters.

Die griechischen Dionysien waren noch länger


Die Götter spielen dabei eine minimale Rolle – außer dem besonders übel beleumundeten Dionysos, eine Art Mephisto der Antike. Der Gott der Ekstase, der Verwandlung und des Rausches zieht die Menschen in seinen Bann, macht sie verrückt, anschließend amüsiert er sich köstlich über ihre irren Ausritte und verspottet sie in ihrem Wahn. Der rundliche Andrew van Ostade imitiert nicht nur exakt Dionysos-Statuen, er passt auch sonst blendend in die Rolle dieses Gottes, der weit mehr ist als ein plumper Manipulant. Virtuos schlägt Dionysos seine Trommeln, freut sich, wie die jungen Leute die sprichwörtliche Sau rauslassen und gar kein Ende finden können, sich miteinander, alleine oder mit Lorbeer-Bäumen zu vergnügen.


Eine Truppe von 28 fulminanten Tänzern, die sich auch aufs Spielen verstehen, bestritt den 24-Stunden-Marathon. Die originalen Dionysien dauerten fünf bis acht Tage, so gesehen, eine Digest-Fassung. Es beginnt mit den „Persern“ (Aischylos). Danach reist der Zuschauer kreuz und quer durch die griechischen Dramen, wobei Fabre (und Autor Jeroen Olyslaegers) die historischen Texte, nicht immer elegant, aber einleuchtend, teilweise so verändert haben, dass die Geschichten den jetzt Lebenden, auch jenen, die sich nicht mit griechischer Mythologie auskennen, etwas sagen. Klar, das originale Griechische, aber auch die Übersetzungen der Stücke von Sophokles oder Euripides klingen musikalischer.

Hauptrollen für die Zeit und den Schlaf


Nicht Chronos und Chronologie sind Fabre ein Anliegen, sondern Kairos, das Richtige tun im richtigen Moment. Doch geht es hier auch um die subjektive Zeit, die in unserem Leben von Verpflichtungen weitgehend wegrationalisiert wurde. Fabre beschwört bewusst den Horror Vacui und zwingt zur Mediation: Alles wird wiederholt, die Tänze und die Worte. Der Zuseher soll sie als Mantra empfangen. Einschlafen soll man bekanntlich nicht bei Meditationen, aber der Ausflug auf den Mount Olympus ist schon auch ein Versuch über die Müdigkeit im Sinne Peters Handkes. Man kann das Thema Schlaf von allen Seiten umrunden. Die meisten Besucher turnten rüstig durch die ersten fünf oder sechs Stunden oder gar bis zum Sonntagmorgen. Dann schlug die Erschöpfung zu. Andere hielten zwischendurch ein Nickerchen im Saal oder im Schlafsaal, der mit eng aneinander gereihten Camping-Betten an ein Flüchtlingslager erinnerte.

Das Beste waren der Anfang und der Schluss

Am Schluss waren dann wieder alle anwesend - und das war gut, denn der Anfang (eine Blutoper) und der Schluss mit Wrestling und Holi-Clubbing (das sind die aus Indien abgekupferten Events mit den Farbbeuteln) waren das beste.
Einige kräftige Kürzungen hätten nicht geschadet. Manche Wiederholungen wie die Kopfschüttel-Orgie der Kassandra (Kundalini-Yoga?) wirkten, als wollte Fabre Zeit schinden, damit er auf seine 24 Stunden kommt. Vor allem die „Orestie“ zerflatterte und entfaltete nicht die archaische Wucht wie in der Version von Ariane Mnouchkine, 1992 bei den Festwochen zu Gast.

Die Griechen wussten, dass es die Tragödie und nicht die Komödie ist, die das Publikum besonders nachhaltig fesselt – diese These, der sich auch Fabre anschließt, prägt die Bühnenkunst bis heute. Trotzdem sind es vor allem einige witzige Passagen, die in Erinnerung bleiben. Intelligenter Slapstick: Kreon wird von seinem Volke gedrängt, die Krone anzunehmen. Er will sie nicht, er traut sich nicht, schließlich packt er sie, und drückt sie sich aufs Haupt, jetzt sitzt sie fest, er wird sie nicht mehr los – und am Ende ist es die Herrschaft, die ihn beherrscht und nicht er sie. Eine weitere Passage erinnert an Debussys „L'après-midi d'un faune“: Ein Mann versucht Frauen zu erwischen, die ihm ihre Vulva entgegen strecken, sie weisen ihn ab, dann plötzlich ereilt sie ein Sinneswandel und sie hüpfen alle zugleich auf ihn los, hängen sich an seinen Körper, stapeln sich über ihn – nun bekommt er die Panik.

Wie unvermeidlich ist das Böse?  


Interessant sind auch Medea und Agamemnon: Medea, die Kindsmörderin, und den Feldherrn, der seine Tochter Iphigenie für günstigen Wind opfert, der ihn nach Troja bringen soll, verbindet, dass beide fest davon überzeugt sind, das Unumgängliche zu tun. Diese Ansicht teilen Sie mit manchem Totschläger aus dem Bezirksgericht.
Fabre sorgt nicht nur für teilweise markerschütternde Dramatik mit peitschendem Tanz und expliziten Sex-Szenen, die aber ästhetisiert und daher nicht peinlich wirken, er bedient auch den Griechenland-Aficionado: Zikaden zirpen, Frösche quaken, das Meer rauscht, man kann die Hitze, den Geruch von Staub und Wäldern förmlich spüren. Es ist die griechische Meta-Ebene, die hier hinter Bettenburgen und Ferien-Amüsement auftaucht: Griechenland mit seinen unentdeckten, unzugänglichen Ecken, seinen Gebirgen und seinen markanten Menschen-Typen zwischen Kaffenion und Agora, die vom Massentourismus unberührt ihre Gespräche führen, ihre Komboloi drehen und zu den Sternen hinauf schauen. Die drei Männer, die das auf der MQ-Bühne tun, werden sogleich erkannt und belacht.

Lieber im Freien und auf einer Arenabühne


So obszön und wild Fabres Kreation wirken mag, sie ist auch ganz altmodisches Bildungstheater: Der 1958 geborene belgische Maler, Dramatiker, Regisseur und Choreograf, der das Bedrohliche des Schlafes, der hier als Traumzeit daher kommt (eigentlich ein Begriff der Aborigenes für die raum-und zeitlose Welt), aus eigener Erfahrung kennt, belebt in einmaliger Weise die griechische Antike; ihre Sinnlichkeit, ihre Wut, die schönen Frauen, die Recken und die tobenden Greise. „Mount Olympus“ ist auch ein lebendes Museum. Ein Wermutstropfen: Auf einer Arenabühne im Freien würde diese Performance viel stärker wirken. Dort könnte man am Schluss auch die Besucher, die das möchten, in den wilden Tanz einbeziehen. Hier bleibt die Hochkultur doch eher unter sich, die Zuschauer im Kunst-Tempel oder vor den Fernsehern auf der Terrasse, die Akteure auf der Bühne.

Die Wiener Aufführung wurde heftig akklamiert. Nicht wenige reisen diesem Ereignis, das 2015 in Berlin seine Uraufführung hatte, hinterher. Es sind vermutlich die Strapazen für die Akteure, die Aufführungsserien unmöglich machen: Die nächsten „Bergtouren“ zum magischen Mount Olympus finden am 9. 6. beim Israel Festival in Jerusalem statt - und am 24. 9. 2016 im Kaaitheater Brüssel. Gewiss hat Fabre seine „Paten“ oder stilistischen Verwandtschaften: Pina Bausch, Erwin Piplits oder auch Hermann Nitsch, dessen Orgien-Mysterientheater allerdings urtümlicher, roher ist. Trotzdem sind Fabres Kreationen, von denen schon einige in Wien zu sehen waren – darunter das apokalyptische Märchen „Der Palast um vier Uhr morgens . . . A. G.“ oder „Sweet Temptations“, eine elegische Variation über Menschen-Automaten und Automaten für Menschen – meist ein einmaliges Gesamtkunstwerk.

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