Die schwere Kunst der Gastfreundschaft

Ein „Open Forum“ zu Migrationstrategien wird es im Rahmen der Schau vom 3. bis 5. Juni geben.
Ein „Open Forum“ zu Migrationstrategien wird es im Rahmen der Schau vom 3. bis 5. Juni geben.Wr. Festwochen
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Im Rahmen der Wiener Festwochen wird die ehemalige Post-Zentrale zu einem kafkaesken Gebilde aus rund 50 Künstler-„Nationen“, eingeladen von vier Gastwirten, also Kuratoren. Teils grandios, großteils aber naiv.

Es ist paradox. Einerseits erwartet man sich von heutigen Künstlern, dass sie Stellung beziehen, dass sie uns hier jetzt und sofort die Welt mit ihrer Kunst erklären. Und in genau dem Moment sehnt man sich unbändig danach, einfach auf eine monochrom weiße Leinwand zu starren. (Ohne dabei an Malewitschs „Schwarzes Quadrat“ denken zu müssen.) Wenn immer alles politisch, moralisch, ökonomisch so schlicht wäre, wie es uns viele, vor allem die von persönlichem Aktivismus der Künstler angetriebenen Arbeiten verkaufen wollen, dann wären die politischen Populisten Europas eher mit Kant und Derrida vergleichbar, den philosophischen Paten der Festwochenausstellung „Universal Hospitality“.

Prinzipiell eine schöne Geste, sich mit dem Titel an den Beginn der Aufklärung zu erinnern, an Immanuel Kants Schreiben vom „Weltbürgerrecht“, das „auf Bedingungen der allgemeinen Hospitalität („Wirthbarkeit“) eingeschränkt“ sein sollte. Derrida machte später darauf aufmerksam, dass in diesem Recht immer noch der „Wirt“ das Sagen habe. Und dass das lateinische „hospis“ den „hostis“, also den Feind, immer in sich trägt. Seine Un-Möglichkeit wäre eine absolute, bedingungslose Gastfreundschaft. „Damit meine ich nicht“, so Derrida aber, „dass die Grenzen geöffnet werden sollten.“

Klingt nach Missverständnissen, nach vielen Widersprüchen zumindest, klingt interessant. Für die „politischen“ Künstler aber gibt es meist nur eine Seite, und das ist ihre, die richtige. Wenn etwa selbst mit Kameras in Flüchtlingslagern, auf Demonstrationen etc. dokumentiert wird und dadurch angeblich Bilder entstehen, „die man nicht in den Medien sieht“. Wenn ein sicher sehr simpler, vom Innenministerium herausgegebener Österreich-Leitfaden in Plakaten ins Lächerliche gekehrt wird. Dann sind das die extremsten Beispiele künstlerischer Naivität, sicher. Sprechen wir also von den stärksten Arbeiten, die über der Lokalkunstberichterstattung hinaus zu universellen Bildern von Krisen der Menschlichkeit finden.

Grandiose Installation mit Grabsteinen

Zentral dafür ist eine grandiose, eigens für Wien gemachte Installation des polnischen Künstlers Artur Żmijewski, die den Genealogen unter uns kalte Schauer über den Rücken jagen wird. Żmijewski meißelte aus sechs alten Grabsteinen Namen heraus, deutsche Namen, aus Grabsteinen, die man in den 1950er- und 1960er-Jahren von polnischen Friedhöfen entfernt hat, so, wie man alle Erinnerung an die deutsche Seite ausmerzen wollte. Durch die heutige Wiederholung dieses historischen Aktes der Verdrängung erhält er wieder seine damalige Brutalität und damit wieder unser heutiges Entsetzen.

Um nationalistischen Rechtsruck und Populismus in Europa, angetrieben von der Migrationsbewegung, soll es in dieser Gruppenausstellung prinzipiell gehen, die ihren idealen Platz im alten Postgebäude auf der Dominikanerbastei gefunden hat. Einst ein Frauenstift, heute im Limbus vor dem Umbau zur Luxusimmobilie. Ein kafkaesker Rahmen, der einen über mehrere Stöcke in 37 Räume lotst, die jeweils meist nur von einem der rund 50 Künstler bespielt werden. Eine ausführliche Erklärung zu jeder Arbeit ist in einem Gratismagazin zu lesen, das am Eingang erhältlich ist, auch der Eintritt ist gratis, die Schwelle also niedrig genug, um den „Zaun“ zur Kunst einzureißen – schon steht man vor Oliver Resslers großer Animation über die Macht von Grenzen und Zäunen und ihre Überwindung. Alles nur, um in einer „Willkommenskultur der Ausbeutung“ zu landen, so der Künstler.

Vielleicht sollte man ihnen Núria Güell vorstellen, die verzweifelt versucht, ihren spanischen Pass loszuwerden. Beziehungsweise versucht, überhaupt eine nationale Zuschreibung loszuwerden. Rechtlich verflixt, wie man der Dokumentation ihrer Anstrengung entnimmt. Sie beschäftigt dafür mittlerweile einen Anwalt. Wenn die Dinosaurier das schon für uns erledigt hätten! Starben sie doch nicht durch Kometen, sondern wegen Dino-Grenzstreitigkeiten. Wie man in einer der humorvollsten Arbeiten dieser Schau erfährt, in einem Video-Diptychon, das András Cséfalvay in „Jurassic Park“-ähnlichen Zwiegesprächen mit einem jungen und einem greisen Dino zeigt. Mitten in Budapest.

Der starke Bezug zu Ungarn und postkommunistischen Ländern ist ein wesentlicher Aspekt dieser durchwachsenen Schau, der darauf zurückzuführen ist, dass das Projekt aus einer vor zwei Jahren für Budapest konzipierten Ausstellung entstanden ist, zusammengestellt von der ungarischen Kuratorin Edit András, die auch hier als eine von vieren mitgewirkt hat (Birgit Lurz, Ilona Németh, Wolfgang Schlag). Vier Gastgeber also, rund 50 Künstlernationen, meist getrennt voneinander, zusammengeführt auf einem Territorium geprägt von Geschichte und Turbokapitalismus, wie man hier sagen würde. Das Große im Kleinen. Wie gesagt, paradox.

Bis 19.6., tägl. 11–20h, Eintritt frei, Dominikanerbastei 11.

(Print-Ausgabe, 27.05.2016)

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