Bürokraten und Korrupte schlagen zurück

Mobbing im Büro: Ofelia Popii.
Mobbing im Büro: Ofelia Popii.(c) SEBASTIAN MARCOVICI
  • Drucken

Gianina Carbunarius Drama „Gewöhnliche Menschen“ seziert erbarmungslos Whistleblowing in England, Italien, Arabien und ihrer Heimat Rumänien. Die Geschichten sind unglaublich, ufern aber allzu sehr aus.

In diesem Stück ist alles echt, zumindest bei der Vorbereitung. Ein Doku-Drama der Sonderklasse: Die rumänische Regisseurin Gianina Carbunariu (*1977) interviewte für ihr eben Mitte Mai in Sibiu uraufgeführtes Schauspiel „Oameni obişnuiţi“ im Vorjahr Menschen, die grobe Missstände an ihrem Arbeitsplatz aufgedeckt hatten, denen dieses Whistleblowing aber extreme Nachteile einbrachte. Ihre wahren Namen werden im Text verwendet, sie kommen auch in kurzen Interviews auf Video-Screens zu Wort. Alle haben sie Geschichten zu erzählen, die fassungslos machen.

Davon konnte sich das Publikum bei den Wiener Festwochen am Dienstag im Theater Akzent überzeugen, bei „Gewöhnliche Menschen“, einem Gastspiel des Teatrul National Radu Stanca Sibiu. In 110 Minuten wurde man bei dieser Premiere im deutschsprachigen Raum immer wieder aufs Neue überfahren, von Information über unglaubliche Korruption in London, Riad, Cagliari und rumänischen Städten. Zur Wucht trägt auch das Bühnenbild bei: Mihai Pacurar hat nah an der Rampe eine Wand gebaut, die auch als Video-Screen dient, mit Türen, mobilen Seitenwänden und Klappen, die zu Sesseln mutieren – ideal für das Abtauchen von Personen und Verschwindenlassen von Akten. Drei Frauen und drei Männer, anfangs im Businesslook, legen in ständig wechselnden Rollen einen irren Rap hin, diverse Skandale verflechten sich. Für eine Zeit ist das recht spannend, doch weil auch Ungeheures zur Wiederholung neigt, können solche serielle Enthüllungen ermüden. Viel Story, wenig Drama. Und vom vielen Mitlesen der deutschen Übertitel bekommt man Genickstarre.

Der leichte Schmerz ist alles in allem jedoch vernachlässigbar. Carbunariu und ihr Ensemble haben viel zu sagen. Sie zeigen etwa das Schicksal Sharmilla Chowdhurys, einer ehemaligen Mitarbeiterin in der Radiologie des Ealing Hospitals, die enthüllte, wie arg es im britischen National Health Service zugehen kann. Sie läuft bei Kollegen gegen Wände, wird selbst angeklagt, nachdem sie systematischen Betrug aufgedeckt hat. Lange Prozesse folgen. Als sie sich schließlich mit ihren Gegnern einigt, ist sie bereits schwer krank. Dieses Schicksal teilt sie mit Ornella Piredda, die auf gar nicht belegte Ausgaben im Regionalrat von Cagliari stieß – ein Schaden von mehreren Millionen Euro. Doch auch hier wird die Wahrheit verdreht, die Täter werden zu Opfern, die Korrekte wird gemobbt, bedroht. Der Stress macht sie fertig, Piredda erblindet fast völlig. Zehn Jahre Justizkrieg – und keiner der 43 mutmaßlich korrupten Regionalräte wird bestraft.

Handy abschalten und untertauchen

Ähnlich verlaufen kriminelle Machenschaften bei Rumäniens Gesellschaft für Autobahnen und Nationalstraßen, deren Mitarbeiter Alin Goga, Claudiu Ţuţulan und Liviu Costache Whistleblower waren. Todsicher können jene, die mutig zwischen Gut und Böse unterscheiden, mit härtestem Widerstand der Bürokraten rechnen. Lebensbedrohend ist es auch, wenn man sich wie der britische Ex-Soldat Ian Foxley mit mafiosen Führungscliquen in Riad, mit Militärs und Firmen daheim in London anlegt, die Schmiergeld für normal halten. Über Jahrzehnte wurden bei Aufträgen Dutzende Millionen Pfund abgezweigt. Wer das enthüllen will, taucht nach der Flucht aus Saudiarabien am besten eine Weile unter, schaltet das Mobiltelefon ab. Die Rückkehr in die Normalität: mühsam. Die Chance, zu erkranken: äußerst hoch.

Alle diese Aufdecker eint, dass sie nicht anders konnten, als Verbrechen öffentlich zu machen. Das lässt ein wenig darauf hoffen, der Mensch könne auch gut sein. Überwältigendes Signal an diesem zum Teil erschöpfenden, zum Teil packenden Abend ist: Korruption beginnt mit kleinen Gefälligkeiten und Schwächen, ihre Täter werden mörderisch brutal, wenn sie auf Widerstand treffen.

Das Ensemble: Florin Coşuleţ, Mariana Mihu, Ioan Paraschiv, Ofelia Popii, Dana Taloş, Marius Turdeanu.

Noch ein Termin im Theater Akzent: am 2. Juni, 20 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.