Fidelio macht einen Ausflug in die Geisterbahn

WIENER FESTWOCHEN: FOTOPROBE ´FIDELIO´
WIENER FESTWOCHEN: FOTOPROBE ´FIDELIO´(c) APA/MONIKA RITTERSHAUS
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Achim Freyer läuft mit seinem Konzept bei Beethovens Oper gegen die Wand und verweigert zentrale Punkte einer Regie. Vokal ist die Produktion durchwachsen, Schönberg-Chor und Musiciens du Louvre glänzen.

Wien feiert 250 Jahre Prater. Das scheint auch Achim Freyer gehört zu haben. Zumindest wirkt sein Festwochen-„Fidelio“ wie eine Hommage an die Geisterbahn. Sämtliche Protagonisten sind durch fratzenhafte Masken völlig entstellt und durch Auspolsterungen oder Extrabeine und -brüste ins Groteske verformt, ohne dass man sich freilich fürchten müsste. Schon gar nicht vor dem Teufelchen Don Pizarro. Zudem stellt Freyer den menschlichen Bodensatz, der geschunden in den Kerkern kriecht, mit einer Splatter-Ästhetik dar, die in ihrer Drastik schon wieder verharmlosend ist, und die man nicht einmal einer zweitklassigen Metal-Band mehr durchgehen ließe.

Anfang April war bekannt geworden, dass sich die Festwochen vom vorgesehenen Regisseur Dmitrij Tscherniakow trennten, weil er „die Vorarbeiten für Bühnenbild und Inszenierung nicht erbracht“ habe. Der 82-jährige Haudegen Freyer übernahm volley, und ihm gelang Paradoxes: Das Bühnenbild, das er in so kurzer Zeit ins Theater an der Wien wuchten ließ, ist nämlich atmosphärisch stimmig und könnte einen brauchbaren Raum für einen „Fidelio“ abgeben. Die Bühne ist komplett von einem Gerüst ausgefüllt, den Figuren fehlt also sprichwörtlich der Boden unter den Füßen, und eine Fülle von so kunst- wie wirkungsvollen Projektionen schafft eine bedrängende Dichte.

Bewegungsspielraum ist eigene Achse

Das war es dann aber. Denn Freyer verzichtet darauf, den von ihm geschaffenen Raum zu nützen, er erzählt die Geschichte nicht. Er erzählt aber (mit Tante Jolesch könnte man sagen: noch ein Glück) auch keine andere, sondern überhaupt keine. Jede Figur hat ihren festen Platz: Auf der zentralen Ebene sind von links Jaquino, Rocco, Marzelline und Leonore aufgefädelt, oberhalb chargiert sich Pizarro durchs Stück, unten im Kerker darbt Florestan, und daran ändert sich nichts mehr. Der Bewegungsspielraum der Figuren ist die eigene Achse. Wurden schon bei Freyers Volksopern-„Don Giovanni“ die Unzulänglichkeiten der Übermaskierung deutlich, die keinerlei Mimik und somit Emotion zulässt, geht er hier noch einen Schritt weiter und beraubt sich durch den Verzicht auf Interaktion eines zentralen Erzählmittels. Das grenzt regieseitig an Arbeitsverweigerung und ist im Prinzip mehr eine stark bebilderte konzertante Aufführung. „Es ist unmöglich, das Gesicht zu erkennen“, sagt Leonore im Kerker. Wie wahr. Sie kommt Florestan aber auch nicht nahe genug, um etwas erkennen zu können. Freyer verrennt sich hier in seinen eigenen Markenzeichen, und dass er beim Schlussapplaus (absichtlich) gegen die Wand rennt, ist irgendwie ein stimmiges Bild.

Abermals bleibt es der Musik überlassen, die Geschichte zu erzählen. Dafür ist Marc Minkowski am Pult seiner Musiciens du Louvre die richtige Person. Er hält die Musik unter Hochspannung (mit die Sänger durchaus fordernden Tempi). Lautmalerisch, den Farbenreichtum seines Ensembles auskostend, entfaltet er das Drama aus dem Graben, mit einem aufgerauten, aber nicht ruppigen Klangbild. Herrlich fein gesponnen die Violinen beim berühmten Quartett zu Beginn, grauenerweckend grummeln die Bässe beim Ausheben von Florestans Grab. Lediglich bei den Hörnern zeigten sich wieder deutlich die Grenzen des Originalinstrumentariums.

Singt er da tatsächlich von einem Mord?

Keine Grenzen sind dem Arnold-Schönberg-Chor gesetzt, der mit überwältigender Wucht und berührender Zartheit für die dichtesten Momente eines Abends sorgte, der auch vokal nicht immer auf Festwochen-Niveau war. Aber vielleicht waren auch die Masken einfach zu hinderlich. Den stärksten Eindruck hinterließ Christiane Libor, die über die für eine Leonore nötige Dramatik und Durchsetzungskraft verfügte, nicht jedoch über die ebenfalls gefragten zarten Töne. Michael Königs Florestan mangelt es an tenoraler Strahlkraft, Jewgeni Nikitin hat oft Mühe, sich gegen das Orchester zu behaupten und wirkt als Pizarro auch stimmlich recht harmlos. Singt er da tatsächlich von einem Mord?

Da ist Georg Nigls ausdrucksstarker Bariton bei seinem kurzen Auftritt als Minister von anderer Art. Franz Hawlata schließlich braucht Zeit, um als Rocco stimmliche Autorität zu entwickeln. Julien Behr hingegen ist mit seinem angenehm geführten Tenor in der undankbaren Rolle des Jaquino von Beginn an präsent, und Ileana Tonca gibt eine tadellose Marzelline. Den Sängern ist Erleichterung anzumerken, als sie sich zum Schlussapplaus die lästigen Masken vom Kopf streifen dürfen. Vielleicht kann man diese nach den restlichen drei Vorstellungen tatsächlich in der Geisterbahn zweitverwerten. Das wäre ein Signal in Sachen Nachhaltigkeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2016)

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