Marie Brassard: Der gestrandete Fisch

Eine psychedelische Show von Marie Brassard bei den Wiener Festwochen - der Text (mit starkem französischen Akzent vorgetragen) scheut kein Pathos, die musikalischen und visuellen Endlosschleifen ermüden recht bald.

In einer guten Stunde kann man eine CD mit Sphärenmusik hören oder einen Joint rauchen oder ein Hochamt inklusive Predigt über Werden und Vergehen besuchen. Man kann aber auch „Me Talking to Myself in the Future“ erleben, ein Gesamtkunstwerk von Marie Brassards „Infrarouge“, das am Donnerstag bei den Wiener Festwochen im Brut im Künstlerhaus uraufgeführt wurde. Besucher, die auf Kurzweil aus sind, seien gewarnt; sie könnten nach zehn von siebzig Minuten das Interesse verlieren, bei diesem Weihespiel.

Die Kanadierin, die zu den Protagonisten bei Robert Lepages großen Arbeiten gehört und schon 2004 und 2005 mit außergewöhnlichen Abenden entzückte, hat diesmal eine seltsame psychedelische Show fabriziert. Der Text (mit starkem französischen Akzent vorgetragen) scheut kein Pathos, die musikalischen und visuellen Endlosschleifen ermüden recht bald.

Morpheus aus den Metamorphosen

Zumindest hat Brassard eine angenehme und modulationsfähige Stimme, die durch Filter zuweilen stark verfremdet wird. An der Rampe tritt die Performerin vors Mikrofon, an ein Puppenhaus, das ihre Kindheit repräsentiert, flankiert von zwei Assistenten (Jonathan Parant, Alexandre St.-Onge) an kleinen Schreibtischen im Hintergrund, die mit allerlei technischen Geräten zur multimedialen Erbauung hantieren. Aber besonders dicht sind die lyrischen Ergüsse nicht.

Eine Frau geht durch ihre Heimatstadt Trois-Rivières, eine Seherin, die das Künftige ahnt, eine Erzählerin, die sich an längst Vergangenes erinnert, an den Landgang der Fische zum Beispiel und noch viel weiter zurück. Morpheus aus den „Metamorphosen“ des Ovid ist der Führer durch diese Traumwelt mit gefrorenen Tieren, Zombies, geschundenen Sklaven. Wie ein verhuschter Drogentrip hört sich diese bemühte, etwas schlampige Bildungsbürgerpoesie auch an, die von unscharfen Filmen, Vertigo-Effekten und elektronischem Lärm begleitet wird. „I am telling a story that makes no sense / A personal creation myth“ heißt es einmal. Richtig. Wenn es ganz ernst wird, streckt die Dame dem Publikum ihre blutigen Handflächen entgegen. Auf einer weißen Projektionsfläche hinten wächst der Schatten der Frau. Ihr Puppenhaus mutiert zu einem Psychohaus, Fische schwimmen in der Ursuppe. Vielleicht schnappen sie gerade etwas auf, vom tieferen Grund dieser todernsten Geisterbeschwörung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2010)

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