Festwochen: Sympathische Eingeborene

Festwochen Sympathische Eingeborene
Festwochen Sympathische Eingeborene(c) APA (Georg Hochmuth)
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„100 Prozent Wien“ von Rimini Protokoll im Museumsquartier amüsierte das Publikum. Präsentiert werden – simpel gesprochen – 100 Laien, die statistischen Werten entsprechen.

Es wäre denkbar, dass die Festwochen bei einer Uraufführung einen neuen Autor oder Regisseur, gar ein kontroversielles Thema präsentieren, um bei einem Wiener Festival die lokale Note zu berücksichtigen. Sie entschieden sich für „100 Prozent Wien“, die Weiterentwicklung der Berliner Show von Rimini Protokoll, bereits des Öfteren bei den Festwochen.

Zu Beginn bekommt man gratis ein umfängliches Programmheft überreicht. Das macht stutzig. Theater sollte ohne Erläuterungen funktionieren. Immerhin, das tut es. Präsentiert werden – simpel gesprochen – 100 Laien, die statistischen Werten entsprechen. Für die Initialzündung sorgt ein ehemaliger Mikrozensus-Mitarbeiter, der Untertitel „Kettenreaktion“ sollte aber nicht dazu verleiten zu glauben, dass es hier nur so knallt und sprüht.

Wie Werbung vor der Wahl

Die 100 Personen stellen sich kurz vor und stimmen dann über Fragen ab wie: Wer will in Zukunft Kinder haben? Wer ist ohne Vater oder ohne Mutter aufgewachsen? Wer wird gemobbt? Wer wohnt in einer Kleingartensiedlung? Wer würde zur Waffe greifen, um die Familie, die Stadt zu verteidigen? Vermutlich würde man nach fünf Minuten sanft entschlummern, wenn die Menschen auf der Bühne nicht so sympathisch wären: etwa der Maler, der eine Frau sucht, die Architektin, die Baustellen liebt, aber Probleme mit ihrem Chef hat, oder der Grieche und der Türke, die gemeinsam musizieren.

Einige sozialdemokratische Prominenz saß im Publikum. Bald sind Wahlen in Wien. Mit diesen statistischen Eingeborenen ist wahrhaft Staat zu machen: Liebenswert, humorvoll, gefestigt demokratisch wirken sie – ganz anders als die grantigen, aggressiven Typen, die man in der U-Bahn sieht. Die Stimmung im Saal schien bestens – vermutlich gerade wegen der dünnen Bretter, die hier gebohrt werden. bp

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2010)

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