"Factory 2": Warhol nervt und entzückt

Factory Warhol nervt entzueckt
Factory Warhol nervt entzueckt(c) AP
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Der polnische Regisseur Krystian Lupa zeigt bei den Festwochen "Factory 2" über die wilden Sixties und das wilde Polen heute: Intelligent erdacht, aber teils lähmend langweilig.

Als kurz vor dem Ende der Papst auftritt, beteuert, sich vor allem um Homosexuelle und gesellschaftlichen Abschaum kümmern zu wollen, darauf unter wüsten Verbalinjurien ein zartes Beichtkind verjagt, ist Schluss. Ohnehin sind nur mehr die hart Gesottenen im Museumsquartier versammelt. Seit 15.30 Uhr läuft an diesem Freitag „Factory 2“ von Krystian Lupa. Jetzt ist es bald 23 Uhr. Selbst im Gesicht der eisern Entzückten wirkt das Entzücken festgefroren wie ein Filmstill.

Es ist eine gute Idee von Lupa gewesen, seinen seinerzeit im Kommunismus eingesperrten Landsleuten von Andy Warhol & Co. zu erzählen. Aber zu viel in dieser langen Aufführung befasst sich zu stark mit lokalen Problemen: Da ist die Nibelungentreue Polens zu Amerika, die westliche Libertinage, die Katholiken sauer aufstößt wie vielleicht teilweise der ganze gnadenlose Kapitalismus und Konsumismus – und eben dieser schwule Papst, der in Schwarz und mit offenem Hemd wohl vor allem in Krakau aufregt, in Wien aber eher wie eine unbeholfene Provokation aus den Siebzigern wirkt.

Vor diesem Finale hat mancher wohl auch schon gelitten: bei den endlosen Monologen eines narzisstischen Westentaschel-Jesus oder dem peinigend epischen Telefonat von Brigid Berlin, einer Gefährtin Warhols, mit dem Kunstguru: Es geht um die Verbindung von Sauberkeitswahn und Sex, von langem Gerede und Sex (das eine ersetzt oft das andere, wie man weiß) sowie um Drogen und die unauffällige Entsorgung von Spritzen.

War es nun also sinnlos, sich diesem Marathon zu unterziehen? Nein. Zwischen den berühmten Warhol-Filmen „Blow Job“ und „The Chelsea Girl“ spannt Lupa weite Bögen, die Vergangenheit und Gegenwart verbinden. Statt Münzfernsprecher gibt es Handys, statt Polaroid heutige Kameratechnik. Die Kunst-Kommune der Factory wird im ersten Teil lebendig, wenn alle, die die Chronik verzeichnet, aufmarschieren: das psychisch labile, schon fast kaputte Model Edie (Sandra Korzeniak), die voluminöse Brigid (Iwona Bielska), der ordnungsliebende Regisseur und Kameramann Paul Morissey (Zbnigniew W. Kaleta), Nico (Katarzyna Warnk) – sie sang für die Rockband Velvet Underground, die Warhols Aufstieg begleitete – oder der Advocatus Diaboli Ondine (Adam Nawojczyk).


Geisterstunde in der Kunst-Kommune. In der Fabrikshalle, deren zugeklebte Fenster Tag und Nacht gleich machen, entfaltet sich eine künstliche Schöpfung androgyner Wesen, eine permanente Geisterstunde voll erhabener und lächerlicher Momente: Da tanzt ein Erleuchteter aus Tibet (Tomasz Wygoda), nachdem ihn der Kontakt mit den Kunstgruftis zunächst einmal ins Spital befördert hat, da hüpft immer mal wieder einer schnell aufs Klo, wenn es ihm zu viel wird.

Janis Joplin ist als Amy Winehouse wiedergeboren, Joplins „Freedom is just another word for nothing left to lose“ beschließt auch den Abend. Über allem thront linkisch Gott Andy (Piotr Skiba), ein still charismatischer Tyrann, dem sich keiner entziehen kann. Seine Entdeckungen werden Punkt für Punkt abgehakt, wie präzise, kann man (z. B. im Internet) nachlesen. Auch später taucht Warhol auf, wenn die Liebe zur Sprachlosigkeit kommt, Magersucht, Verlorenheit, Gewalt, Mobbing, die Angst sich festzulegen, geschlechtlich oder im Erwachsensein.

Der von Warhol kopierte schlichte Stil der Filme auf der Video-Wall korrespondiert mit dem Bühnengeschehen– oder konterkariert dieses. Die Performance ist tragisch, berührend, heiter und nervig zugleich. Selten sieht man großen Wurf und Rohrkrepierer so nah beieinander, mächtige Poesie, die sich aus Pop-Lyrics speist, und penetrantes Geschwätz, das möglicherweise die Anlage für die Übertitel verstopfte, denn die fiel gegen Schluss immer wieder aus.

Anscheinend waren aber viele Besucher des Polnischen mächtig. Die Versammlung der Expatriates und fremdsprachigen Communitys Wiens ist eine der wichtigsten Aufgaben der Festwochen – und eine, die sie erfüllen, in origineller Weise auch hier.

1928
Geboren in Pittsburgh, mit acht Jahren erlebt Andy Warhol eine psychisch-physische Krise. Er beginnt sich für Filme und Comics zu interessieren.

1956
Warhol hat seine erste Ausstellung im Museum of Modern Art in New York.

1962
In der Factory versammelt Warhol eine illustre Gesellschaft, mit der er seine bahnbrechenden multimedialen Techniken entwickelt.

1968
Eine radikale Frauenrechtlerin verübt ein Attentat auf Warhol. Danach ist er stark verändert.

1987
Warhol stirbt nach einer Gallenblasenoperation.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2010)

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