Wiener Festwochen: Russland kaputt

Wiener Festwochen Russland kaputt
Wiener Festwochen Russland kaputt(c) Eszter Gordon
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Kornél Mundruczó versucht sich an der Dramatisierung der apokalyptischen Romansatire „Das Eis“ – roh, dümmlich und fade, eine Zumutung.

Es gibt Theaterabende, da ist sogar die Beleuchtung schlecht. Bei „A jég– Ljod. Das Eis“, das am Mittwoch im Museumsquartier Premiere hatte, fiel auch noch nach kurzer Zeit der Ton der Simultanübersetzung vom Ungarischen ins Deutsche aus. Eine halbe Szene, in der ein Piano von zwei Extremisten malträtiert wurde, musste auf Wunsch des Regisseurs wiederholt werden. Das wäre doch nicht nötig gewesen! Der Ausfall störte gar nicht so sehr, denn die Inszenierung war an sich überheblich und dumm, mit dem Holzhammer herausgearbeitet, es wurde streckenweise wirklich schlecht gespielt, und es gab gehäuft schlechten Sex. Kann ja mal vorkommen. Das Schlimmste aber: Nach einer halben von dreieinhalb Stunden wurde diese Aufführung fade und blieb zwei Stunden belanglos, um nach der Pause im Dilettantismus zu verröcheln.

Armer Vladimir Sorokin! Seine Punksatire „Ljod“ (2002) ist ein grober, aber durchaus lustiger Roman. Kornél Mundruczó hat den Witz erschlagen, ein Stück montiert, das bis auf wenige Szenen an peinlichste Momente des engagierten westlichen Theaters der frühen Siebzigerjahre erinnert, eine abgelutschte Rammelei mit aufgesetzter Gesellschaftskritik, im besten Falle vielleicht eine abgelutschte Gesellschaftskritik mit aufgesetzter Rammelei. Wer sich das ansieht, ist selbst schuld. Das Nationaltheater Budapest hat mit dieser Uraufführung von 2006 jedenfalls eine arge Peinlichkeit nach Wien geliefert. Warum aber kauft man solchen alten Schrott überhaupt ein?

Die Aufführung ist roh und scheint das Motto zu haben: Jetzt brechen wir ein paar Tabus, um zu zeigen, wie schrecklich die Verhältnisse im Kapitalismus sind. Eine Darstellungsform ist die Pornografie. Sie führt in ihrer Wiederholung rasch ins Extreme. Die Gossensprache dieser Romanadaption ist kaum noch zu steigern, die Bilder sollen schockieren. Ein Zuhälter zum Beispiel demütigt eine Stripperin, indem er sie zwingt, sich eine Flasche Wein ins Rektum zu stecken. Sie blutet, der Wein färbt sich rot. Ein zweiter Strizzi nimmt die Flasche und trinkt daraus, während die Frau versucht, das Theaterblut mit Papiertüchern zu stillen. Ein paar Minuten später ist sie wieder bei einer Orgie im Dunkeln und bietet ihre Öffnungen bereitwillig an. Eine Entblößung, ein Exzess, eine Qual – und leider auch biederes Theater. Soll man loben, dass die Darstellung naturalistisch wirkt?

Blond und blauäugig

Vielleicht doch, denn nach der Pause wird es feierlich. Das Dutzend Schauspieler sitzt dort, wo erst die Zuseher waren, verstreut in einem sibirischen Wald, und trägt den zweiten Abschnitt des Romans in einer gehetzten Kurzversion vor, die Geschichte einer blonden, blauäugigen Sekte, die sich im Zweiten Weltkrieg unter den Nazis in der Sowjetunion entwickelt hat und nun zur Weltherrschaft ansetzt. Schlecht gemachtes Hörspiel. Im kurzen dritten Teil kommt noch ein wenig Videokunst. Die Sekte verbreitet ihr Gedankengut über TV, vertreibt eine Wunder-Eismaschine. Das war's dann endlich. Russland kaputt, Ungarn hat fertig.

Ein hoffnungsloser Fall? Die Bühne von Márton Ágh war recht apart, wie aus dem Fundus der Berliner Volksbühne. Eine desolate Wohnung mit zwei Zimmern unten und einem Badezimmer oben. „Keine Angst“, steht dort auf einem Spiegel. Zur Säuberung kraxeln die Darsteller immer wieder ins Oberstübchen rauf, ins Über-Es. Aber die Katharsis will sich leider nicht einstellen.

VLADIMIR SOROKIN: „LJOD“

Im Roman „Das Eis“ untergräbt eine geheime Bruderschaft die Gesellschaft Russlands. Sie vollführt rätselhafte Morde. Mithilfe von sibirischem Meteoriteneis suchen sie die 23.000 Auserwählten, die das Ende der Welt bringen werden. Sorokins Apokalypse ist eine scharfe Kritik an den heutigen Zuständen in seinem Land.

Noch ein Termin: 4.Juni, 20.30 Uhr, Halle G im Museumsquartier. Für Zuseher ab 18 J.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2010)

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