Festwochen: Die vielen Facetten des Richard Strauss

(c) APA (Hans Klaus Techt)
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Christian Thielemann gastierte mit den Münchner Philharmonikern im Musikverein.

„Ich dirigiere am liebsten die Alpensymphonie“, schrieb Richard Strauss einem Veranstalter, der den Komponisten für ein Konzert mit eigener Musik engagieren wollte. Den Satz könnte auch Christian Thielemann ins Musikvereins-Stammbuch schreiben. Er hat den gigantischen Bilderbogen einer Bergwanderung aufs Programm gesetzt, als er bei den Wiener Philharmonikern debütierte, und nun auch beim Gastspiel mit den Münchner Philharmonikern.

Das provoziert geradezu Vergleiche, zumal die erste Wiedergabe festgehalten wurde und wohl in den CD-Regalen der meisten Wiener Musikfreunde steht. Diesen Eindruck kann man jedenfalls gewinnen, denn bei Thielemann-Konzerten in Wien herrscht vom Auftrittsapplaus an die Frénésie.

Das hat natürlich seinen Grund, denn Thielemann ist ein Hexenmeister, wenn es darum geht, einem Orchester Klangfarben und Stimmungsmalereien abzutrotzen – Tugenden, die für die Darstellung der „Alpensymphonie“ unabdingbar sind. Wer da nur auf klare architektonische Strukturen setzte, wäre sogleich verloren. Da wollen schon die Lichtblitze inszeniert sein, die dem strahlenden Sonnenaufgang vorausgehen, da muss man die unzähligen Blumen auf der Wiese in ihrer Farbenvielfalt erlauschen und jeden Moment im ärgsten Wolkenbruch ahnen, dass das doch lauter einzelne Wassertropfen sind, die sich da zur Flut vereinigen.

Die magischen Momente

Thielemann hat sein Orchester exzellent trainiert, sorgt für magische Momente des (Beinahe-)Stillstands, in denen der Zuhörer den Atem anhält wie die Natur, die Strauss abzubilden versucht, vor dem Unwetter. Freilich: Heikle Passagen wie die sanft ekstatischen abschließenden Seiten dieser Partitur, wenn alles wieder in mystischem Dunkel versinkt, entlarven in ihrer Fragilität auch Schwächen eines Orchesters. Wenn beispielsweise der Klang der Holzbläser im Pianissimo allzu brüchig zu werden droht, offenbaren sich die Grenzen, an denen sich die Münchner dank Thielemanns Impetus mit Verve einen Abend lang entlang bewegen.

Als „Gegenprogramm“ musizierte man als Zugabe – mit phänomenalem Hornsolo – die „Mondscheinmusik“ aus dem „Capriccio“ und zu Beginn das abgeklärte Oboenkonzert, in dem Solo-Oboistin Marie-Luise Modersohn beinah makellos, aber vielleicht doch ein Atom zu behutsam agierte. Die zarten Konturen dieses Stücks wollen wohl doch ein wenig kräftiger, nachdrücklich-nuancierter nachgezeichnet sein, um ihre Wirkung so recht zu entfalten – und erst recht, wenn es gilt, sich vom überwältigenden Alpenpanorama abzuheben.

Übertragung in Ö1: 27. Juni, 11.03 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2010)

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