Festwochen: Zwangsprostitution als Politikum

(c) EPA (Martial Trezzini)
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"Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein" von Kornél Mundruczó in der Erdberger Remise: eine raffiniert erdachte Kreation, die erstaunlich dilettantisch wirkt. Mit Abstraktion wäre aber mehr zu gewinnen gewesen.

Vor der Erdberger Remise schmausen in Wirtshäusern die Menschen Schnitzel. In der Halle beim Straßenbahn-Museum wecken die frisch lackierten Bim-Altertümer nostalgische Gefühle. Hier, an der Peripherie der City, stehen Lastwagen, in denen sich Schreckliches ereignet: „Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein“, von Kornél Mundruczó handelt von Zwangsprostitution. Schlimmer, die Mädchen müssen Pornostreifen für Sadisten drehen.

Schockiert reagierten Kritiker auf die 2010 in Brüssel und beim „Theater der Welt“-Festival in Essen gezeigte Kreation, in der live Frauen verbrüht, gequält und getötet werden. Eine versuchte Abtreibung und ein grotesker Geschlechtsakt komplettieren das Panorama. Natürlich werden die Gräuel, die sich hier ereignen, von Schauspielern vorgeführt. Das ist auch das Problem der Performance. Kunst und Leben gehen nicht zusammen. Die Empathie der Zuschauer bleibt matt, sogar, als sie aufgefordert werden, sich ins Geschehen einzubringen.

Die Aufführung will die billige und dilettantische Arbeitsweise der Pornoindustrie zeigen. Stattdessen wirkt das Gezeigte selbst billig und dilettantisch. Mit Abstraktion oder wenigstens weniger drastischem Spiel wäre mehr zu gewinnen gewesen. Nach ca. zwei langen Stunden der Premiere am Mittwoch befand ein gepflegter, junger Mann: „Entsetzlich, keine einzige originelle Idee.“ Das ist zwar ein etwas oberflächlicher und angesichts des Themas geschmackloser Befund, aber nicht falsch. Der Ungar Kornél Mundruczó ist eigentlich Filmregisseur, ein vielfach ausgezeichneter, aber auch des Öfteren heftig verrissener. Seine „Gott“-Produktion hat ungeachtet der banalen szenischen Darbietung allerlei spannende Subtexte.

Der Titel bezieht sich auf das gleichnamige Buch der Brüder Arkadi und Boris Strugazki, die zu den bedeutendsten Autoren der sowjetischen Fantastik zählten. Ihre Geschichte: Im dritten Jahrtausend leben die Menschen im Frieden. Auf einem fernen Planeten haben sie jedoch eine mittelalterliche Zivilisation vorgefunden, die sie zu einem Test verwenden: Tragen die Artgenossen tatsächlich keine barbarischen Instinkte mehr in sich? Der Kommunismus wollte bekanntlich u. a. den neuen Menschen erschaffen. Das Ende des Kommunismus ist in den Reformstaaten bis heute nicht verdaut, auch der heutige neue Mensch ist eine herbe Enttäuschung. Er ist nämlich, wie Mundruczó in einem Interview meinte, oft ein Faschist, nicht nur in Ungarn, ein unsichtbarer, der sich tarnt. „Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein“ rechnet somit in bitterer Weise ab mit Illusionen und Utopien.

Die etwas grobe politische Fabel, die Mundruczó entwarf, geht so: Ein Mann will sich an seinem Vater, einem EU-Abgeordneten, rächen – der die Schwester vergewaltigte. Der Sado-Streifen im Netz soll ihn entlarven. Eine Erschütterung ähnlich wie 9/11 soll ausgelöst werden. Das klingt wirr und ist es auch. Der Beobachter der mittelalterlichen Zivilisation aus dem Roman der Strugazis tarnt sich hier als Doktor. Nachdem er Quälereien und Mord mitangesehen hat, tötet er die Peiniger und Peinigerinnen am Set.

Schwerfälliger Realismus mit Musik

Naturgemäß fließt viel Theaterblut. Zur Auflockerung gibt es Musik, von „Mammy Blue“ bis Heavy Metal. Popmusik war im Osten wohl mehr als alles andere ein Bote der Freiheit. Heute dröhnen die Bässe in den Kopfhörern, um die Wirklichkeit auszublenden.

Im Film würde der schwerfällige Realismus, der hier zelebriert wird, seine dokumentarische Wirkung – wie auch die tollen Schwarz-Weiß-Fotos zeigen – nicht verfehlen. Auf der Bühne wirkt er wie diese Gerichtssaalsendungen oder anderes „Reality“-TV, das mit dramatischer Attitüde Authentizität meistens nur simuliert. Die guten Schauspieler gleichen das nur teilweise aus.

Auf einen Blick

Reality-TV über Zwangsprostitution in der Remise (bis 21. Mai). Der Ungar Kornél Mundruczó (36) erzählt, wie die Verwestlichung bei seinen Landsleuten ankommt. Seine Frankenstein-Adaption war in Wien und bei den Filmfestspielen in Cannes zu sehen.

Ungewöhnliches bei den bis 19. 6. dauernden Festwochen: Fünf Uraufführungen (31. 5.–4. 6.), Künstler-Dialoge u. a. mit Ulrich Seidl (17. 6.), „Kirschgarten“ (Vysniu Sodas, ab 28.5).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2011)

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