Salzburger Festspiele: Von Schirach warnt vor Demagogen

Ferdinand von Schirach.
Ferdinand von Schirach.(c) APA/NEUMAYR/MMV
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Die Eröffnungsrede des deutschen Bestsellerautors wurde zu einer Verteidigung von Verfassung und Toleranz, zum Angriff auf brutalen Volkswillen.

„Rousseau irrte sich! Seine Ideen endeten im Terror. Jede Veränderung muss korrigierbar sein“, lautete eine der Kernaussagen des deutschen Autors Ferdinand von Schirach, der am Freitag zur Eröffnung der Salzburger Festspiele in der Felsenreitschule eine kurze, aber sehr sinnige Festrede hielt. Im Fokus seiner Kritik stand nicht nur der radikale Denker Jean-Jacques Rousseau, ein kontroverser Aufklärer aus Genf, der im 18. Jahrhundert einer der ideologischen Wegbereiter der Französischen Revolution wurde, sondern auch Aktuelleres zum autoritären Charakter.

Der aus München stammende, in Berlin lebende Strafverteidiger, ein Enkel des NS-Reichsjugendführers Baldur von Schirach, wurde durch Erzählbände (z. B. „Verbrechen“), Romane („Tabu“) sowie das Drama „Terror“ weithin bekannt. Seine Bestseller kreisen vor allem um das Rechtswesen.

Hässliche Macht des Stärkeren

Als Positivum für seine Ausführungen in Salzburg, die vom Generalthema Macht handelten, wählte er Rousseaus größten Antagonisten: Voltaire. Er hat sich mit der Obrigkeit angelegt, vor allem mit der Kirche, wegen eines religiös motivierten falschen Todesurteils: Der hugenottische Kaufmann Jean Calas aus Toulouse war 1762 wegen angeblichen Mordes an seinem Sohn, der zum katholischen Glauben übertreten wollte, gefoltert und hingerichtet worden. Voltaires Empörung über den Justizmord, als „Traité sur la tolérance“ niedergeschrieben, bewirkte, dass der Prozess wieder aufgenommen, das Urteil aufgehoben wurde. Ein einzelner Mann habe sich erhoben und die Geschichte geändert, sagte Schirach: Gerade auch in unseren Zeiten müssten wir das Recht gegen die Macht verteidigen.

An Gefährdungen mangle es in Schwellenzeiten nicht. Die „rasend schnellen sozialen Medien“ hätten auch negatives Potenzial, etwa, wenn Facebook zur Hauptinformationsquelle werde oder „social bots“ (künstliche Follower) Nutzer manipulierten: „Das Internet hat das Gefüge der Demokratie grundlegend verändert.“ Die Bürger würden nicht nur Empfänger, sondern Sender: „Belanglosigkeiten werden zu Staatsaffären stilisiert.“

Ja, alle Macht gehe vom Volke aus, doch sie könne auch in einem Moment alles zerstören: „Was soll man tun, wenn Demokraten einen Tyrannen wählen?“ Schwarmintelligenz sei „ein Modebegriff für die hässliche Macht des Stärkeren“.

Flottes von Schostakowitsch

Die Kunst sieht Schirach nicht als Rettung aus politischen Krisen, das wäre für ihn ein „törichter Glaube“, selbst wenn man Theater und Oper gegen die Populisten verteidigen müsse, auch wenn es ihn zum Schreiben motivierte, dass das Publikum bei und nach der Aufführung seines Stückes die „res publica“ verhandelt habe und so die „Verfassung plötzlich lebendig wurde“. Der einzig sichere Halt für uns seien die Verfassungen freier Länder und das, was man in den USA „checks and balances“ nenne.

Garniert wurde die Rede vom Mozarteum-Orchester unter Riccardo Minasi, das nach der Bundeshymne flotte Musik von Dimitri Schostakowitsch spielte – Suite für Varieté-Orchester. Festspiel-Präsidentin Helga Rabl-Stadler konnte bis auf Bundeskanzler Christian Kern beinahe die gesamte Bundesregierung sowie lokale und europäische Honoratioren begrüßen.

Das digitale Biedermeier

Kulturminister Thomas Drozda lobte Salzburg als „Fest der Superlative“, zeigte sich entzückt vom neuen Intendanten, Markus Hinterhäuser, und zitierte nach digitaler Kritik sowohl Theodor W. Adorno als auch den Philosophen Hartmut Rosa. Er lobte die Kraft der Resonanz, mit ihr die Kunst. Landeshauptmann Wilfried Haslauer widmete sich in einer prägnanten Rede gegen Kommerz und Kitsch dem Begriff der Schönheit.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der das Festival offiziell eröffnete, erinnerte die High Society daran, dass man auf Schwächere achten solle, er warnte fortschrittskritisch vor „digitalem Biedermeier“. In Salzburg aber regiert nun für sechs Wochen vor allem die Kultur. Weit mehr als 200.000 Karten für Oper, Theater und Konzert liegen diesmal auf. (norb)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2017)

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