Globart: Kriegsbilder in der Kirche und der liberale Islam in Berlin

Die in Berlin lebende türkisch-kurdische Rechtsanwältin Seyran Ateş erzählte von der liberalen Moschee, die sie in Moabit eröffnet hat.
Die in Berlin lebende türkisch-kurdische Rechtsanwältin Seyran Ateş erzählte von der liberalen Moschee, die sie in Moabit eröffnet hat.(c) APA/AFP/JOHN MACDOUGALL
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„Ordnung, Unordnung“ lautete das Motto zum 20-Jahr-Jubiläum der Kultur, Philosophie und Disput mischenden Denkwerkstatt in Krems.

Scheinwerfer irren durch die Minoritenkirche, in der alle Sessel wild durcheinander geworfen sind und Bilder von Flüchtlingen und den Kriegsschauplätzen dieser Welt über eine Leinwand flimmern. Die Globart Academy, die Kultur, Philosophie und Diskussion verbindet und vor 20 Jahren von Heidemarie Dobner gegründet wurde, widmet sich heuer dem Thema „Ordnung, Unordnung“. Peter Sloterdijk, der den Einführungsvortrag halten sollte, konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht kommen.

Sein Freund, der Jurist und Kulturhistoriker Manfred Osten, trug das blendende Referat vor, das mit Nietzsche („Stürzen wir nicht fortwährend?“) begann und mit Faust endete. Sloterdijk geißelt die übertriebenen Verheißungen der Wahlfreiheit, die „Logik der Sachen“ habe gesiegt: „Das Chaos ist die Regel, von der die unwahrscheinlichste Ausnahme die Ordnung ist.“ Wir erleben die „Höllenfahrt des postmodernen Geldes“. Sloterdijk rät der „aufgereizten Wunschgesellschaft“ zur Mäßigung, denn die Geldschöpfung stehe längst in keinem Verhältnis mehr zur Wertschöpfung – und er schließt mit Diogenes: „Glücklich ist nur der, der weiß, dass er genug hat.“ So pointierten Sätzen war im Grunde wenig hinzuzufügen.

Tatsächlich aber fand noch vieles andere statt bei dieser Globart-Eröffnung Donnerstagabend: Heidemarie Dobner erhielt das Goldene Ehrenzeichen des Landes Niederösterreich. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner konnte sich im Gespräch mit Globart-Präsident Wilfried Stadler nur schwer entscheiden, was ihr thematisch wichtiger ist, die Digitalisierung oder die Religionskonflikte, beides hat sie gerade hautnah bei einer Israel-Reise erlebt. Die launigste Ansprache zu einem ernsten Thema hielt der bei Globart preisgekrönte US-Pädagoge John Hunter, der ein War-Peace-Game erfunden hat, bei dem Kinder und Jugendliche in einem Rollenspiel herausfinden können, welche Folgen Krieg hat und wie Friede zu erhalten wäre. Freitagmorgens gab es eine Lecture Performance über das freie Spiel der Gedanken. Schauspielerin Susanne Valerie Granzer und Philosoph Arno Böhler animierten das Publikum, einen Chor zu bilden, und in diesem herrschte nun wirklich das reine Chaos, weil verschiedene Texte ausgeteilt worden waren. Natürlich absichtlich.

Nach diesem Practical Joke wurde es allerdings bitterernst. Die in Berlin lebende türkisch-kurdische Rechtsanwältin Seyran Ateş erzählte von der liberalen Moschee, die sie in Moabit eröffnet hat: in der Sankt-Johannis-Kirche, wo jeder willkommen ist, Frauen und Männer zusammen beten und sie selbst als Imamin auftritt.

Moschee mit Imamin – in einer Kirche

1984 wurde Ateş bei einem Attentat lebensgefährlich verletzt. Die weißhaarige, jugendlich und energisch wirkende Frau ist eine wahre Heldin, sie streitet mit muslimischen Autoritäten und hat inzwischen Millionen Anhänger. Das Besondere ist, dass sie versucht, den Islam von innen zu reformieren. Die Gewalt sei sehr wohl im Koran nachzulesen, so Ateş, die jungen Männer, die von Jungfrauen träumen und Frauen nicht die Hand geben, bräuchten keine Religion, sondern eine Therapie, weil sie ein Problem mit Sex hätten. „Frauen in Marokko würden kein Kopftuch tragen, wenn sie nicht müssten“, erklärte Ateş. Man müsse die Diskussion mit Konservativen und sogar mit den Fundamentalisten führen, ist sie überzeugt: „Wir wollen nicht spalten, sondern wir wollen, dass die Leute zusammenkommen.“

Noch bis Samstagabend läuft Globart, diese gelungene Mischung aus Symposion und Festival. Wie die Eröffnung gestalten Regisseur Hans Hoffer und Musiker Wolfgang Mitterer auch den Abschlussevent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2017)

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