"On the Milky Road": Märchen, Western, Melodram in Exjugoslawien

Archaische Rituale und eine Hymne auf das Ursprüngliche: „On the Milky Road“ von Emir Kusturica.
Archaische Rituale und eine Hymne auf das Ursprüngliche: „On the Milky Road“ von Emir Kusturica. (c) Weltkino
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Eine berührende Liebesgeschichte und eine scharfe Komödie vom Dorf im Krieg um Exjugoslawien: mit Regisseur Emir Kusturica in der Hauptrolle und der italienischen Diva Monica Bellucci.

Die Amerikaner sind an allem schuld, sie veranstalten Kriege zur Geldbeschaffung für ihre Waffenindustrie und wollen alle Völker ihrem zerstörerischen Kapitalismus einverleiben. Es ist gelinde gesagt sonderbar, wenn jemand wie Emir Kusturica, der gerade auch mit den Bildern der US-Kulturindustrie arbeitet, solche Botschaften verbreitet. Oder diese: Ein englischer General lässt rücksichtslos Zivilisten hinmetzeln, weil er seine italienische Frau zurück gewinnen will, deretwegen er seine erste Gattin umgebracht hat. Auf weltanschauliche Ideen darf man Emir Kusturicas „On the Milky Road“ nicht untersuchen, sonst stehen einem die Haare zu Berge. Nach zehn Jahren hat der 1954 in Sarajevo geborene serbisch-muslimische Regisseur – er ist mittlerweile zum orthodoxen Glauben übergetreten – wieder einen großen Spielfilm gedreht.

Die Zeit spielt verrückt, die Turmuhr auch

Viele Preise hat er bekommen, darunter den goldenen Löwen und zweimal die goldene Palme. Aber dann ergriff er Partei für den früheren serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic, gemeinsam mit seinem Freund Peter Handke, und vor allem die deutschen Medien wollten nichts mehr von ihm wissen. Handke und Kusturica verbindet jedenfalls, dass sie Romantiker sind, die sich um politische Realitäten nicht kümmern. „On the Milky Road“ gleicht ein wenig Handkes traumverlorenen Geschichten und ist von A bis Z ein wunderbarer Film. Wiewohl Kusturica wenig Neues bringt, seine jüngste Arbeit ähnelt zum Beispiel „Arizona Dream“ (1993): die Schilderung einer Dreiecksbeziehung, die Besetzung mit internationalen Stars, damals Johnny Depp, Faye Dunaway, jetzt Monica Bellucci. Es gibt auch wieder die beseelte Tierwelt und die verlockende Natur.

„On the Milky Road“ ist Märchen, Western, Melodram zugleich - und überdies noch eine schrille Komödie. Kosta (Kusturica spielt diesen Außenseiter selbst und entfaltet reichlich sanfte Magie) hat Entsetzliches im Krieg um Exjugoslawien erlebt, seinem Vater wurde mit einer Kettensäge der Kopf abgeschnitten. Kosta gilt als Sonderling, ein heiliger Franziskus, der sich mit Eseln und Falken anfreundet. Nicht alle Tiere kann er gewinnen, die Schlange trinkt zwar seine Milch, attackiert ihn aber trotzdem.

Emir Kusturica und Monica Bellucci.
Emir Kusturica und Monica Bellucci.(c) Weltkino

Der Film, der auf „drei wahren Geschichten und jeder Menge Fantasie“, fürwahr, basiert, beginnt mit Dorfszenen, die zwischen Fellini und alten italienischen Schwarzweißfilmen changieren: Die Großmutter hält die Zeit an, die rostige Turmuhr, die noch aus der Monarchie stammt, beginnt aber zu spinnen, sie reißt die alte Frau empor, auf und ab geht es wie auf einer Hochschaubahn im Prater. Schüsse knallen, Kosta schützt sich mit einem Regenschirm, und entkommt, aus grünen Kanistern rinnt die Milch. Die ehemalige Turnmeisterin Milena (Sloboda Mićalović), ein anarchisches Mädchen, das es mit jedem Haudegen aufnimmt und gern um sich schießt, verfolgt Kosta hartnäckig.

Amour Fou und eine Flucht

Milena will Kosta unbedingt heiraten, und ihr Bruder Žaga (Miki Manojlović), ein berühmter Scharfschütze und Söldner – mit Narbe und Glasauge – soll die Italienerin Nevesta (Bellucci) bekommen, die sich vor dem englischen General versteckt. Doch Nevesta, die wohl nicht zufällig teilweise wie eine Doppelgängerin von Milena aussieht, und Kosta verlieben sich auf den ersten Blick ineinander. Auf ihrer halsbrecherischen Flucht spielt Wasser eine große Rolle, Nevesta springt in einen tiefen Brunnen, damit General Scotts Todeskommando sie nicht entdeckt, später gerät sie in eine Fischreuse, Kosta kann sie nur knapp vor dem Ertrinken retten, eine Schafherde umringt das Liebespaar usw. Ein unglaubliches Bild jagt das andere, Kusturica malt die geliebte Landschaft seiner Heimat mit Eifer aus und preist das einfache Leben, in das eine rücksichtlose und kriegerische Zivilisation immer wieder einbricht. Hier die Bauern, die Hirten, die Liebespaare, dort das üble Weltgewimmel. Kusturicas Universum ist schlicht, aber einprägsam.

Kostas Weg führt schlussendlich wie der seines Erfinders in die Weltabgewandtheit und in die Spiritualität. Romantiker werden diesen vor allem im ersten Teil etwas überladenen Film gewiss mögen. Und in einer Kultur, in die allmählich von allen Seiten die Esoterik einsickert, wird er seine Fans finden.

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