500 Jahre Reformation

Im Zeichen Luthers, des „begabten Gottesschäumers“

Sibylle Lewitscharoff sprach über den „Sprachrausch“ Martin Luthers, Bundespräsident Van der Bellen vom „Kollateralnutzen“ der Reformation, Kardinal Schönborn zitierte aus der Lutherbibel, alle sangen „Ein feste Burg“: ein freundlicher Festakt im Musikverein.

„Das Wort sie sollen lassen stahn . . .“ In gut lutherischer Tradition sang das Publikum am Ende von Martin Zellers effektreicher Reformationskantate (mehr oder weniger lauthals) mit. Es war bereits das zweite Mal bei diesem Festakt am Dienstag im Musikverein, dass die bewegt-bewegende Melodie von Martin Luthers „Ein feste Burg ist unser Gott“ erklang, auch im vierten Satz von Felix Mendelssohn Bartholdys d-Moll-Symphonie – ebenfalls scharf gespielt vom Orchester der Johann-Sebastian-Bach-Musikschule – steht sie ja im Zentrum. Vom „altbösen Feind“ ist die Rede in diesem Lied der Reformation, gemeint ist natürlich der Teufel, an den Luther noch sehr persönlich glaubte, doch heute meint man auch den erbitterten Streit mit der römischen Kirche herauszuhören, von der sich Luther getrennt hatte – ohne dass er das ursprünglich gewollt hätte, wie Kardinal Schönborn in seiner Rede betonte.

Schönborn zitierte aus dem Römerbrief, der Luther so wichtig war, und zwar – auch das ein schönes Zeichen des Respekts – in der Version der Lutherbibel: „Ich schäme mich des Evangeliums von Christus nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die da selig macht alle, die daran glauben.“ Er erzählte in Luthers derben Worten („stinkender Magensack“ etc.), wie entsetzt dieser selbst über die Spaltung war; und er zitierte Benedikt XVI., der die Ökumene erstaunlich undogmatisch beschrieben hatte: In dieser gehe es darum, „aufeinander zu hören und voneinander zu lernen, was es heißt, heute Christ zu sein.“

Luther "ignorant" für die Geistesströmungen seiner Zeit

So herrscht Freundlichkeit zwischen den Kirchen heute. Das beeindruckte auch Präsident Van der Bellen: Religionsfriede sei nicht selbstverständlich; dieses sei auch die erste Jahrhundertfeier der Lutheraner, die nicht von der Politik missbraucht werde, sagte er – und erinnerte an die Feiern 1917, als das Reformationsgedenken als Stütze des deutschen Herrschaftsanspruchs dienen musste, und 1817, als noch deutliche antisemitische Töne zu hören waren.

Die befremdlichen Seiten Luthers ließ auch Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff in ihrer Festrede nicht aus, nannte den Reformator einen „begabten Gottesschäumer“, „ignorant“ für die Geistesströmungen seiner Zeit, einen „Mann des Entweder-oder“, der sich wie Jakob als Zweitgeborener gefühlt habe, der sich den Segen erst erstreiten musste, der vielleicht auch deshalb die Juden – die ja als erste auserwählt waren – zuerst umwarb, dann so skandalös beschimpfte. Doch sie pries seine hochfahrende Energie, den „Sprachrausch“, den er – am Schluss des Buchs Hiob, aus dem sie las – auch seinem Gott zugeschrieben habe.

Van der Bellen über Rolle der Kirchen

Er habe aus diesem 15-Minuten-Vortrag mehr über Luther gelernt als in zwölf Jahren Religionsunterricht, gestand Van der Bellen schelmisch. Ob Luther das Recht auf politische Freiheit, das von der Reformation mit begründet worden sei, selbst so gewollt habe, wisse er nicht – wenn nicht, nun denn, so sei das ein „Kollateralnutzen der Reformation“. Als Rolle aller Kirchen sieht er es, „sich für jene einzusetzen, die keine Lobby haben“.

„Freiheit und Verantwortung seit 1517“ ist das Motto der evangelischen Kirchen im Jubiläumsjahr. Bischof Michael Bünker zitierte gleich eingangs Hegels Lob der Reformation als „Aufbruch hin zu einer Religion der Freiheit“; ihrer Verantwortung würden die Kirchen vor allem durch Diakonie und Bildungsarbeit gerecht. Und durch weltliches, zivilgesellschaftliches Engagement. Denn, so erklärte er mit Zeilen von Erich Fried: „Wer will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, will nicht, dass sie bleibt.“

Davor war Aron Coplands „Fanfare for the Common Man“ erklungen – als Anspielung auf Luthers Vorsatz, dem Volk aufs Maul zu schauen, wie Bünker scherzte – , danach kam Max Regers ebenso überschwängliche Vertonung des Psalm 100. „Die Hörer müssen nachher als ,Relief‘ an der Wand kleben“, hatte Komponist Reger gefordert. Nun, das taten sie nicht, trotz aller Pauken und Trompeten, aber die starke Musik trug doch dazu bei, dass man etwas von der Aufbruchsstimmung der Reformation, die die Redner beschworen hatten, zu fühlen meinte.

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