Auf der eisigen Höhe des Denkens in Davos

Wintersport, Schwindsucht und schwindelerregende Gedanken auf Kongressen: Dafür steht Davos. Etwa im Roman "Der Zauberberg" - hier ein Bild aus der Verfilmung von 1982.
Wintersport, Schwindsucht und schwindelerregende Gedanken auf Kongressen: Dafür steht Davos. Etwa im Roman "Der Zauberberg" - hier ein Bild aus der Verfilmung von 1982.(c) Franz Seitz
  • Drucken

Wo sich heute die Mächtigen treffen, haben sich einst lungenkranke Dichter und sportliche Denker getummelt. Das Streitgespräch von 1929 zwischen Heidegger und Cassirer war ein Höhepunkt – mit großer Absturzgefahr.

Was ist der Mensch? Im Schweizer Davos treffen ab heute wieder Tausende Firmenlenker, Politiker und Forscher zusammen. Die Macher und die Mächtigen debattieren beim Weltwirtschaftsforum über die Zukunft unserer Zivilisation. Jeder bringt seine Perspektive mit, aber die Sprache schlägt Brücken, den Dolmetschern sei Dank. Die Teilnehmer einen gesittete Umgangsformen beim Cocktailempfang und hehre Prinzipien auf dem Podium. Menschenrechte, Frieden, Wohlstand: alles bedroht, alles wert, dafür zur kämpfen. Ist ein solcher Kongress auf 1600 Metern Seehöhe ein Gipfel dessen, wozu Menschen durch ihre Kulturleistungen fähig sind? Oder ist das alles nur hohles Geschwätz, eitle Zurschaustellung? Sind verbindliche Werte, ewige Wahrheiten eine Illusion? Imaginäre Haltegriffe, an die wir uns klammern, um unserer Angst zu entfliehen – der Angst vor dem Zufälligen, Sinnlosen, unserer bodenlosen Freiheit zum Bösen? Und, am Grunde dieses Abgrunds, vor unserer Endlichkeit, dem Tod? Solch tonnenschwere Gedanken wälzte man in Davos im März 1929, kurz vor der Weltwirtschaftskrise, in ebenjenem Grand Hotel Belvédère, das heute das Zentrum des Forums ist. „Was ist der Mensch?“ war das Thema eines berüchtigten Streitgesprächs zwischen den beiden damals einflussreichsten deutschen Philosophen.

„Von hier geht eine neue Epoche aus“

Martin Heidegger und Ernst Cassirer hatten scharfe Gegensätze im Gepäck. Der Existenzphilosoph forderte den Kulturidealisten heraus, der Revolutionär des Denkens den Bewahrer der Tradition. Ein verkappter Antisemit traf auf einen Juden, ein künftiger Nazi auf einen Verteidiger der Demokratie. Mit angereist war eine Entourage von Schülern, darunter Herbert Marcuse, Rudolf Carnap und Emmanuel Levinas. Die Studenten hingen an Heideggers Lippen und feierten ihn als Sieger. „Von hier geht eine neue Epoche aus“, schrieb einer seiner Jünger, „und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen.“ Später bereuten einige ihre Euphorie und deuteten das Ereignis anders: als philosophisches Präludium zum Rückfall in die Barbarei.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.