Griechenland: "Krise ist gut für den kreativen Prozess"

Griechenland Krise fuer kreativen
Griechenland Krise fuer kreativen(c) REUTERS (GRIGORIS SIAMIDIS)
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Der Filmemacher Sergio Tsitakis und Ekavi Valleras, die Leiterin des karitativen Unternehmens "Desmos", über die Verarmung der Mittelschicht und die Auswirkungen der Krise auf die kulturelle Landschaft.

Wien. Auf Griechisch kann das Wort Krise mehr bedeuten als das bloße Dilemma, auch Positives ist damit gemeint: Das Verb „krino“ heißt auch entscheiden, beurteilen oder abwägen. Der Schriftsteller Petros Markaris sagte einmal, arm zu leben sei nicht unbedingt von Nachteil für die Kultur.

„Er hat recht, zumindest theoretisch“, meint der Dokumentarfilmer und Drehbuchautor Sergio Tsitakis. „Die Krise ist gut für den kreativen Prozess. Künstler haben keine Mittel und bleiben sich selbst treu.“ Heute bilden Künstler in Griechenland Netzwerke. Die Menschen kommen zusammen und helfen einander.

„Die Mittelklasse“, sagt Tsitakis, „ist die desillusionierte Klasse. Sie hat all diese Jahre in einer Illusion gelebt.“ Was bedeutet diese Verarmung der Mittelschicht für die griechische Kulturlandschaft? „Vor Kurzem habe ich mit einem bekannten griechischen Maler gesprochen“, erzählt Tsitakis. „Er hat sich beschwert, dass niemand mehr seine Bilder kauft. Aber echte Kunst entsteht ja nicht wegen des Geldes, sondern man macht es, weil man es einfach machen muss. Vielleicht wird es also in Zukunft noch mehr Kunst geben.“

Kein Markt, keine Regeln

Das sei ein positiver Effekt: Wenn es keinen Markt gibt, gibt es auch keine Regeln, dann kann jeder machen, was er will. Mittlerweile kauften Kunstsammler aus dem Ausland in Griechenland ein: „Sie wissen, dass die Kunst unter extremen Bedingungen entstand und deshalb sehr ehrlich ist.“

Obwohl die meisten staatlichen Förderungen in Kunst und Kultur Sparmaßnahmen zum Opfer gefallen sind, produziert Griechenland nach wie vor Filme, die international Anerkennung finden. „Die meisten sind Art-Filme, Low-budget-Produktionen, das waren sie immer schon“, sagt Tsitakis. Die Filme seien von privaten Sponsoren finanziert, die Regierung zahle vielleicht ein bisschen dazu.

Viele Filmemacher arbeiten heute, ohne auch nur einen einzigen Cent zu verdienen. „Man darf aber trotzdem nicht aufhören, die Arbeit ist eine Investition in die Zukunft.“ Denn der Markt funktioniere heute auch über Online-Plattformen wie YouTube: Wessen Produkt viele Hits bekommt, der könne auch Unternehmen davon überzeugen, dass er gut sei. Tsitakis: „Wir werden in Griechenland noch sehr lange Dinge aus dem Nichts produzieren müssen.“

Auch der Dokumentarfilm „Smyrna. The Destruction of a Cosmopolitan City, 1900–22“ der griechischen Regisseurin und Drehbuchautorin Maria Iliou ist großteils privat gesponsert. Die Premiere fand vor Kurzem im Wiener Gartenbaukino statt, die Einnahmen kamen dem karitativen Unternehmen „Desmos“ zugute. Seine Leiterin Ekavi Valleras war zusammen mit Sergio Tsitakis zu Besuch in Wien. „Desmos“, gegründet von fünf ehemaligen Schulkolleginnen, verteilt Nahrungsmittel, Kleidung und Medizin an Arme.

Denn das Leben in Griechenland hat sich verändert und so auch seine Städte. Manche erkennen Athen nicht wieder. „Es wird immer schlimmer“, sagt Valleras. Heute rede man über andere Themen als früher, auch mit Freunden spreche man meist über die Sorgen des Alltags, die Existenzangst, die Krise: „Viele Haushalte sind in ernsten Schwierigkeiten, die Menschen haben keine Arbeit, sie können ihre Steuern und die Kreditraten auf ihre Häuser nicht mehr bezahlen. Alles eskaliert.“

Valleras spricht von einer nationalen Depression, einer humanitären Krise. Heute sei es schlimmer, als es damals nach dem Krieg war. Jetzt könne man nicht einmal einen Feind ausmachen, einen Verantwortlichen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2012)

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