Der österreichische Filmemacher Ulrich Seidl zwischen Tabubrüchen, Laien-Mimen und Filmpreisen.
15.05.2018 um 00:25
Egal ob man die Filme von Ulrich Seidl nun mag oder nicht, kalt lassen sie einen nie. Passend zu seinem jüngsten Erfolg bei den 69. Filmfestspielen von Venedig, dem Silbernen Bären für "Paradies: Glaube", wandern wir in seinem Filmarchiv ein paar Jahre zurück.
Seidl Film
Interessant an der Arbeit des Österreichers ist neben seinen tabubrechenden Stoffen auch, dass er vorzugsweise mit Laien dreht. Profis stehen für ihn auch vor der Kamera, die österreichischen Mimen Maria Hofstätter (hier bei den Filmfestspielen von Venedig 2012) und der öffentlichkeitsscheue Georg Friedrich zählen zu seiner Stammbesetzung.
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Seidls kritischer Blick auf die Gesellschaft und seine kühle dokumentarische Ästhetik haben den 59-jährigen Drehbuchautor, Regisseur und Produzenten zu einem Aushängeschild für den österreichischen Film gemacht - auch wenn seine Werke oft heftige Reaktionen ernten.
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Ein gutes Beispiel ist sein mit dem Wiener Filmpreis ausgezeichneter Dokumentarfilm "Good News".
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Die Doku entstand 1990 und erzählt über moderne Sklaven, Zeitungskolporteure aus Indien und Ägypten und ihre modernen Kontrolleure, die Zeitungskonzerne.
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Der 1992 entstandene Film erzählt von einem alten Mann, dessen tiefgefrorene Essensvorräte zu Ende gehen. Er wirft einen Blick über die tschechische Grenze, um eine neue Partnerin zu suchen und findet die alte Ost-West-Problematik von Wohlstand und Armut.
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Die grenzüberschreitende Brautwerbung wurde damals auf Filmfestivals von Augsburg bis Yamagata gezeigt.
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Ein Film über einsame Großstädter, denen Hunde, Hasen und andere Kleintiere als Ansprechpartner und Bettgenossen dienen.
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Zu diesem Tabubruch meinte der deutsche Filmemacher Werner Herzog: "Noch nie habe ich im Kino so geradewegs in die Hölle geschaut." In Potsdam wurde "Tierische Liebe" 1996 als beste Dokumentation ausgezeichnet.
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1998 bohrte Seidl an der Illusion der schönen Welt der Models. Vivian, Lisa, Tanja und Elvyra (Geyer) wollen ein Teil der Schönheitsfabrik sein. Die drei Freundinnen hetzen von einer Disco zur nächsten, warten auf erfolgreiche Fotografen und liebevolle Männer, meist vergebens.
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"Models ist ein Film von der Tristesse des Showleben in der zweiten Liga - ein depressiver Unterhaltungsfilm über die Lüge der Selbstdarstellung", Die Presse, Stefan Grissemann. Der Film wurde mit dem Publikumspreis von Sarajewo ausgezeichnet.
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Ulrich Seidls großer Durchbruch kam mit einer Nahaufnahme des blassen Familienlebens im Niemandsland südlich von Wien. Zwischen Juli und August steigen in dem Film nicht nur die Temperaturen, sondern auch Einsamkeit, Sex und Aggression.
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Seidl wurde für "Hundstage" 2001 u.a. in Venedig mit dem Großen Preis der Jury, dem Silbernen Bären, ausgezeichnet.
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Nach der Liebe zu Tieren folgte 2003 das Thema Religion. Seidl erzählt darin ohne Kitsch und Bigotterie über die Liebe der Gläubigen zu Jesus, die ihm sexuelle Fantasien und Rachegelüste anvertrauen.
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Bei der Viennale wurde der Film mit dem "Wiener Filmpreis", in Montreal mit dem Kritikerpreis ausgezeichnet.
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Die Suche nach dem Glück macht traurig. Der Film erzählt in intensiven Bildern die Geschichten von zwei jungen Menschen, Olga und Paul, die jeweils im entgegengesetzten Teil Europas Arbeit, Sinn und Nutzen suchen.
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Auch dieser Film wurde international wieder gut aufgenommen, in Bangkok bekam er den Hauptpreis beim 5th Worldfilm Festival, in Lissabon wurde "Import Export" mit dem Amnesty International Award ausgezeichnet.
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Mit den nächsten Arbeiten des Filmemachers landen wir auch schon in der Gegenwart, dem ersten Teil seiner aktuellen Triologie. "Paradies: Liebe" erzählt vom Sextourismus älterer Damen, die an Kenias Stränden um die Liebesdienste der einheimischen Beachboys bemüht sind.
Der zweite Teil seiner Serie an Sehnsuchtsgeschichten, "Paradies: Glaube", hatte im Verlauf des Filmfestivals von Venedig für heftige Reaktionen im katholischen Italien gesorgt. Dass sich eine Figur selbst geißelt und sogar mit dem Kruzifix masturbiert (allerdings nur in den Köpfen des Zusehers), hat dem Regisseur Seidl und seiner Hauptdarstellerin Maria Hofstätter eine Anzeige wegen Blasphemie eingebracht.
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Im Zentrum von "Paradies: Glaube" steht eine streng katholische Krankenschwester, die missionarisch von Haus zu Haus zieht und eine teils masochistische, teils lustvolle Beziehung mit dem angebeteten Jesus unterhält.
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Trotz des Aufruhrs durfte der Regisseur nach elf Jahren ("Hundstage") in Venedig wieder den Spezialpreis der Jury entgegennehmen.
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Der dritte Teil der Trilogie, Paradies: Hoffnung erzählt die Geschichte der 13-jährigen Melanie, die sich in einem Diätcamp in einen um Jahrzehnte älteren Arzt verliebt. Der Film feierte seine Premier auf der Berlinale. Damit gelang Seidl als erstem Filmemacher der Hattrick, innerhalb eines Jahres bei drei der großen Festivals vertreten zu sein.
(c) stadtkino
Filmemacher zwischen Tabubrüchen und Preisen
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