Fritz Lang: Wiener Meister der Pulp Fiction

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Filmmuseum und Viennale würdigen den konsequenten Fatalisten und berüchtigten Regiepräzisionsarbeiter Fritz Lang in einer großen gemeinsamen Retrospektive zum 50er-Jubiläum des Filmfestivals Viennale

Ein britischer Gentleman in Jagduniform streift durch einen bayerischen Wald, legt sich hin und nimmt durch das Zielfernrohr eine Gestalt ins Visier . . . Adolf Hitler auf dem Balkon seiner Bergfestung! Als der Engländer den Abzug drückt, löst sich jedoch kein Schuss:  nur eine sportliche Übung. Die Eröffnungsszene von Fritz Langs Anti-Nazi-Thriller „Man Hunt“ verblüfft noch heute, bei der Premiere im Juni 1941 war das Publikum wohl fassungslos.

Als die „politique des auteurs“ in Frankreich in den 1950ern die Filmgeschichtsschreibung umkrempelte und den Regisseur wieder als schöpferische Zentralfigur der Kinokunst ausrief, war der gebürtige Wiener Fritz Lang (1890–1976) neben Otto Preminger jener aktive Hollywood-Regisseur österreichischer Provenienz, den man mit John Ford, Alfred Hitchcock u. a. in den Pantheon der Autoren hob. Insofern ist er – elf Jahre nach der letzten Wiener Lang-Retrospektive – eine kluge Wahl für die große gemeinsame Retrospektive im Filmmuseum zum 50er-Jubiläum des Filmfestivals Viennale: Als „Rationalist des Wahnsinns“ pries ihn ja auch in den 50ern der Kritiker Jean-Luc Godard, der dann – selbst Regisseur geworden – Lang memorabel in seinem Filmemachen-Liebesfilm „Le mépris“ (1963) als „Fritz Lang“ besetzte. Als stolze Regielegende arbeitet er da mit seinem Markenzeichen, dem Monokel, an der Verfilmung der Irrfahrten des Odysseus.

Das Monumentalkino prägte Lang bereits als Großregisseur der Weimarer Republik mit dem Stummfilm „Die Nibelungen“ (1924), ebenso wie das Krimiepos mit „Dr. Mabuse, der Spieler“ (1922), diverse Science-Fiction-Spielarten mit „Metropolis“ (1928) sowie „Die Frau im Mond“ (1929) oder den Agentenfilm („Spione“, 1928). Seine berüchtigte visuelle Präzisionsarbeit – viele Schauspieler litten unter Langs oft tyrannisch durchgesetzter Bevorzugung der Bildkomposition – erweiterte er im Übergang zum Tonfilm auf Anhieb durch brillante Klanggestaltung, als er mit „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ (1931) auch noch gleich den Serienkillerfilm ins Leben rief.

Hitler und Dr. Mabuse

Der Kindermörder aus „M“, von Peter Lorre unvergesslich verkörpert, ist in seiner abscheulichen Tragik zugleich eine quintessenzielle Lang-Kreation: eine gepeinigte Gestalt, den die Gesellschaft gnadenlos zu beseitigen gedenkt. Mit „Das Testament des Dr. Mabuse“ (1933) hinterließ Lang eine Warnung vor einer Welt, die im hypnotischen Bann eines Meisterverbrechers steht, bevor er sich Hitlers Regime via Frankreich Richtung USA entzog. Die genauen Umstände seiner Flucht sind unklar: Lang behauptete, Goebbels hätte ihm noch am Vortag die Leitung der Reichsfilmkammer angeboten – er neigte stets zur Selbstmythologisierung.

In Hollywood war Lang als Genre-Innovator dann ganz in seinem Element: ein Meister der Pulp Fiction, der Hitchcock als master of suspense herausfordern wollte, und darunter litt, nie dessen Popularität beim Publikum zu erlangen.

Western mit Marlene Dietrich

Dafür schuf er pausenlos Klassiker und Kuriositäten – teils beides zugleich: vom fiebrigen Anti-Lynchmob-Drama „Fury“ (1936) zum famosen Gangstermusical „You and Me“ (1938, Komponist: Kurt Weill). Selbst in den uramerikanischen Western brachte Lang die deutsch anmutende, diagrammhafte Genauigkeit seines Stils ein. Sein letzter (und bester) Western „Rancho Notorious“ (1952) mit Marlene Dietrich als Outlaw-Königin, bot im (auch prächtig besungenen) Glücksradmotiv des „Chuck-a-Luck“ als „wheel of fate“ das perfekte Bild für Langs prononcierte Faszination durch den Fatalismus. Endgültig seine Bestimmung fand er logischerweise in den düsteren Welten des Film noir.

Ob Lang nun Ray Milland nach Graham Greene durch eine Nazi-Verschwörung in England hetzte („Ministry of Fear“, 1944) oder E. G. Robinson als bürgerlichen Biedermann im Dreiecksgeschichten-Doppelpack „The Woman in the Window“ (1944) und „Scarlet Street“ (1945) in den Abgrund stieß, es war vollendeter Ausdruck einer Vision, die ein anderer französischer Lang-Exeget, François Truffaut, folgendermaßen auf den Punkt brachte: „Moralische Einsamkeit, der Mensch im einsamen Kampf gegen ein Universum, das halb feindlich , halb gleichgültig ist.“ Geschrieben in der Kritik zum Cop-Thriller „The Big Heat“ (1953), in dem Langs lebenslange Beschäftigung mit dem Rachethema charakteristisch eisig kulminierte, bevor er mit der romantischen Schmugglerballade „Moonfleet“ (1955) seinen vielleicht schönsten Film drehte. Und zwar in CinemaScope, einem Format, dass er später mit dem berühmten Satz abkanzelte, es eigne sich „nur für Schlangen und Begräbnisse“.

Nach zwei spottbilligen Krimis im Jahr 1956, darunter „While the City Sleeps“, ein letztes, tiefschwarzes Mörderjagd-Meisterwerk mit medienkritischer Schlagseite, kehrte Lang Hollywood den Rücken. Der Kreis seines Œuvres schloss sich in der nunmehrigen Bundesrepublik Deutschland: zurück zum Abenteuerfilm, trivialbunt, in „Der Tiger von Eschnapur“ (1958) und „Das indische Grabmal“ (1959) – und mit „Die 1000 Augen des Dr. Mabuse“ (1960), einem Vorausblick auf die Welt der Überwachungskameras, bevor fortschreitende Erblindung die Weiterarbeit ohnehin unmöglich machte. Die letzte Drehung des Glücksrads gab dem Fatalisten recht: Es hält – auf Schwarz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2012)

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