Viennale: Best of Filmfest

Zur Orientierung: Acht handverlesene Empfehlungen aus dem reichhaltigen Viennale-Programm.

Stargast: Michael Caine

„My name is Michael Caine“, sagte der britische Starschauspieler höchstpersönlich auf der nach ihm benannten Ohrwurm-Single der Band Madness. Nur, dass der wahre Name von Sir Michael Caine, Commander of the British Empire, eigentlich Maurice Joseph Micklewhite ist. Aber der Mann hat halt Sinn für Humor: Sein unverwechselbarer Cockney-Akzent hat ihn zu einem der meistparodierten Schauspieler werden lassen, er antwortete darauf, indem er die besten Parodien darunter selbst parodierte. Auch sonst hat Caine viele verkannte Verdienste, ob als Autor einer exzellenten Autobiografie oder als Produzent der Chill-out-Musik-Mix-CD „Cained“. Beim Besuch als Stargast der Viennale wird trotzdem verständlicherweise vor allem sein reiches darstellerisches Schaffen gewürdigt: Täglich ein Film, darunter Meisterwerke wie John Hustons Kipling-Verfilmung The Man Who Would Be King (1. 11., Metro, 13.30 h) und Joseph L. Mankiewicz’ verspielter Thriller Sleuth (26. 10., Gartenbau 20 h). Unverzichtbar ist auch die Hochstaplerkomödie Dirty Rotten Scoundrels (2. 11., Metro, 16 h), aus der das obige Bild stammt.

Monströs gut: Buttgereit zeigt

Als Regisseur hat der deutsche Sympathieträger Jörg Buttgereit abgründige Klassiker wie die Nekromantik-Filme geschaffen, auf der Viennale stellt er (fast täglich) das Spezialprogramm „Something Different“ vor: „Eine kleine Geschichte des Unheimlichen“, erzählt anhand von Genrebeispielen, die Buttgereit sorgsam ausgesucht hat. Natürlich sind ein paar bekannte Favoriten dabei, seien es die beiden Versionen des eisigen Alien-Schockers The Thing (From Another World) (28. 10., Metro ab 13.30 h und 16 h bzw. als Double Feature am 31. 10.,Gartenbau, 23 h) oder eben Ridley Scotts Weltraumhorror Alien (28. 10., Gartenbau, 24 h und 5. 11., Metro, 11 h). Aber der wahre Connaisseur zeigt sich in den surrealeren Selektionen: Als einer der weltführenden Spezialisten für japanische Monsterfilme bekennt sich Buttgereit zu Trash-Perlen wie Uchu daikaiju Girara (3. 11., Künstlerhaus, 16 h) mit der unvergesslichen außerirdischen Riesenhuhneidechse (siehe Bild oben) oder Matango (5. 11., Urania, 23.30 h), in dem Godzilla-Regisseur Honda Ishirô das unvorstellbare Grauen der mutierten Pilze ausmalt. Ja, Pilze!

Kunststücke und Stammgäste

Alte Bekannte sind bestimmte Regisseure auf der Viennale, allen voran natürlich der strenge Meister Jean-Marie Straub, dessen neuer Kurzfilm La madre mit seiner außerordentlichen Brecht-Adaption Geschichtsunterricht läuft, die er 1972 mit seiner mittlerweile verstorbenen Partnerin Danièle Huillet inszeniert hat (4. 11., Künstlerhaus, 18.30 h). Andere bewährte Namen sind etwa der 104-jährige Portugiese Manoel de Oliveira mit der minimalistischen Theateradaption O gebo e a sombra (2. 11., Künstlerhaus, 21 h und 3. 11., Metro, 16 h) und der Franzose Olivier Assayas, dessen neuer Film Après Mai (28. 10., Gartenbau, 21 h und 1. 11., Urania, 13.30 h) oben abgebildet ist. Es ist ein autobiografisch inspirierter Bildungsroman aus der Zeit nach 1968 als Fusion von Assayas-Kernthemen: Kunst und Politik, Liebe und Musik. Und er hat es noch geschafft, einen Film-im-Film über den Kampf eines Nazi-U-Boots gegen ein Urzeitmonster einzubauen. Respekt! Noch wilder in der Kunst treibt es nur sein Landsmann Alain Resnais im Theater-Kino-Spiegelkabinett Vous n‘avez encore rien vu (26. 10., Metro, 11 h und 27. 10. Metro, 18.30 h).

Gott Grifi und Dokumentation

Der Italiener Alberto Grifi (1938—2007) war ein Gott des Experimentalfilms, wurde aber international die längste Zeit vernachlässigt. Dabei haben seine Filme eine Kraft, die seiner Haltung auf dem obigen Foto um nichts nachsteht: Wenige Avantgardefilme knallen so heftig wie seine Found-Footage-Montage La verifica incerta. Groß wiederentdeckt hat man im Vorjahr etwa das epische Videodokument Anna, an dem Grifi mit Massimo Sarchielle von 1972 bis 1975 arbeitete: eine Außenseiterstudie und Zeitbeschreibung, die berühmten Meisterwerken der Ära wie Jean Eustaches La maman et le putain um nichts nachsteht. Die Viennale zeigt Anna und mehrerere Grifi-Filmprogramme täglich von 3. bis 7. 11. Aber auch bei den neueren Dokumentarfilmen gibt es Außergewöhnliches, etwa Leviathan (29. 10., Gartenbau, 23 h und 31. 10., Urania, 21 h): Die Regisseure Vérena Paravel und Lucien Castaing-Taylor schildern darin den Alltag des kommerziellen Fischfangs als Höllentrip. Mit entfesselter Digitalkamera rasen sie durchs Fischverarbeitungsgemetzel zu Wasser, zu Schiff und in der Luft, dass einem fast schlecht wird.

V'12

Die Viennale feiert heuer ihren 50er. Die Jubiläumsausgabe von Wiens Filmfest läuft von 25. 10. bis 7. 11., bespielt werden die Innenstadt-Stammkinos: Gartenbau, Künstlerhaus, Metro, Stadtkino und Urania. Der Kartenvorverkauf beginnt am 20. 10., Tickets gibt es an den üblichen Vorverkaufsstellen: Mariahilfer Straße/Ecke Museumsquartier, Schottentor-Passage und Gartenbaukino, jeweils von 10 bis 20 Uhr. Kaufen kann man die Karten auch online: www.viennale.at, da gibt es auch alle Informationen zum Festival. Neu ist heuer das Festivalzentrum: 1010 Wien, Dominikanerbastei.

Austrokino: Kern und Museum

Nach dem Rückzug der Filme von Ulrich Seidl hat das österreichische Kino auf der Viennale die größten Zugpferde verloren, aber das macht vielleicht den Blick frei für Produktionen, die nicht so im Rampenlicht stehen: Etwa das neue Werk des unermüdlichen Wiener Regieautors Peter Kern, Diamantenfieber (3. 11., Gartenbau, 18 h). Da spielt nicht nur der heimische Star Josef Hader (Bild oben) als Gauner mit, sondern die Geschichte um Teenager, die in Trickbetrug mit Edelsteinen verwickelt werden, ist auch eine willkommene Ausnahmeerscheinung im gegenwärtigen Depressionskino: ein glücklicher, antikapitalistischer Film. Ebenfalls bemerkenswert ist ein Wien-Film, den der Amerikaner Jem Cohen vor allem im Kunsthistorischen Museum gedreht hat: Museum Hours (5. 11., Gartenbau, 18 h). Da kreuzen sich die Wege eines Museumswärters mit einer Besucherin aus Amerika: ein feines Essay, das seinen Hauptschauplatz für durchaus humorvolle Reflexionen nutzt und sonst durch den Blick eines Fremden auf Wien fasziniert. Außerdem gibt es erfreulicherweise Szenen in einem der Kultlokale von Wien, dem „MMM Espresso“ in der Laudongasse.

Portugal über alles

Dem portugiesischen Regisseur Miguel Gomes war schon ein Tribut der Viennale gewidmet, nun hat er einen der Filme des Jahres gemacht: die stolz schwarz-weiße, komplexe Kolonialzeit-Liebesgeschichte Tabu (3. 11., Gartenbau, 20.30 h und 4. 11., Metro, 11 h). Wie das Bild einer im Baum posierenden Pop-Band oben zeigt, kommt der absurde Witz von Gomes nicht zu kurz, aber dieses herzzerreißende Stück Traumkino ist vor allem von tiefer Melancholie durchtränkt, oder wie der Portugiese sagen würde: von Saudade. Gomes trägt aber noch mehr bei, um diese Viennale zu Portugal-Festspielen zu machen: Er hat den Schwerpunkt für den national enorm wichtigen, international aber kaum bekannten Regisseur Manuel Mozos kuratiert: Bei „Das Fantasma des Kinos“ ist dessen schmales, zwischen Dokument und Erzählkino pendelndes Werk zwischen 1. und 7. 11. zu entdecken, flankiert von einer Selektion anderer portugiesischer Klassiker. Wie auf der vorigen Seite erwähnt, läuft obendrein Altmeister Manoel de Oliveira, und es lohnt sich auch, A última vez qui Macau anzuschauen (5. 11., Stadtkino, 23 h und 7. 11., Stadtkino, 18 h): ein Stadt-Essay, als Noir-Krimi erzählt.

Alt, aber eigentlich am besten

Eine Binsenweisheit, an die sich kaum jemand hält: Die allerbesten Filme der Viennale sind die alten, die ins Hauptprogramm geschmuggelt werden. Und obendrein weiß man nie, wann (und ob) man den Luxus noch einmal haben wird, sie in einer Filmkopie zu sehen. Bei den historischen Gustostückerln dieser Viennale ist natürlich zuallererst der Film von John Ford, dem doch wohl besten aller Regisseure, hervorzuheben: Wie links zu sehen, ist John Wayne der Star von Fords eigenartig schillernder Komödie Donovan’s Reef (26. 10., Metro, 16 h und 28. 10., Gartenbau, 13 h). Aber was einem als Erstes dazu einfällt ist eigentlich, dass Lee Marvin darin bei einer sturzbetrunkenen Zeremonie zum König von Hawaii gekrönt wird. Besser geht’s nicht. Außer vielleicht im schönsten Film des gebürtigen Wieners Fritz Lang, dem heuer die große Retrospektive im Filmmuseum gilt. Im Hauptprogramm zeigt man dennoch auch gleich noch einmal seine wundersame Breitwand-Schmugglerballade Moonfleet (1. 11., Gartenbau, 12.30 h sowie nach der Viennale: 29. 11., Filmmuseum, 18.30 h).

Grenzenloses Genreglück

Eine Handvoll herausragender neuer Genrefilme sind bei der Viennale: Grandios der vom — im Vorjahr vom Festival geehrten — Hongkong-Regisseur Soi Cheang inszenierte, angenehm analoge Autoraser-Adrenalintreiber Che sau (26. 10., Künstlerhaus, 11 h und 27. 10., Gartenbau, 23 h). Cheang erzählt vom Polizisten, der Verfolgungsjagd-spezialist wird, wie in einem Martial-Arts-Film: Als der alte (Raser-)Meister brilliert obendrein der beste aller Wongs, Hongkong-Charakterdarsteller Anthony Wong. In jeder Hinsicht überbordend ist eines der heurigen Werke vom bestürzend konsistenten japanischen Vielfilmer Miike Takashi, Ai to makoto (30. 10., Gartenbau, 23 h): eine Art High-School-Musical als avantgardistisch ausufernder Liebesfilm mit schwerer Schlagseite zum absurden Genie. Für den Genrefreund ebenfalls unverzichtbar: Berberian Sound Studio (30. 10., Metro, 21 h und 31. 10., Metro 11 h). Regisseur Peter Strickland lässt darin den famosen Toby Jones einen Tontechniker spielen, der nach Rom kommt, um einen Giallo-Horrorfilm zu vertonen, und sich bald in der surrealen Atmosphäre verliert. Ein g’scheiter Film über Ton und Bild, und ziemlich lustig obendrein.

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