U-Bahn als Ort der Freiheit: Timo Novotnys Blick auf Wien

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Regisseur Timo Novotny fühlt sich in Wien genauso wohl wie in New York, Tokio oder Moskau. Hauptsache, er hält sich im Untergrund auf.

U-Bahnen haben es Timo Novotny angetan. „Wenn ich in einer Stadt von einem Spaziergang nach Hause komme und die Bilder auf meinem Fotoapparat anschaue, dann gibt es rund 100 Bilder von der U-Bahn und nur eines von der Stadt“, sagt der 39-Jährige. „Die U-Bahn reflektiert die Gesellschaft und das Leben in einer Stadt. Sie erklärt, warum Menschen in Tokio, New York und Moskau so sind, wie sie sind.“

Was er damit sagen will, versteht man etwas besser, wenn man seinen neuen Dokumentarfilm „Trains of Thoughts“ gesehen hat, der morgen, Freitag, ins Kino kommt und die Zuschauer auf einen gedanklichen Streifzug durch die Welt des Untergrunds mitnimmt. Die Reise beginnt in Wien, geht immer Richtung Westen – über New York, Los Angeles, Tokio, Hongkong – und endet in Moskau. Und wie ein Fahrgast treffend formuliert: „Each line has it's own little drama.“

Die Idee für den Film kam Novotny während der Arbeit für die Dokumentation „Life in Loops – A Megacities Rmx“ (2006), basierend auf Michael Glawoggers „Megacities“. Es war sein erster Langfilm nach seinem Studium der Visuellen Mediengestaltung an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Zuvor hatte er bereits mehrere preisgekrönte Musikvideos und Kurzfilme gedreht.

In „Trains of Thoughts“ fängt Novotny, der 1973 in Böblingen in Deutschland geboren wurde, bei seiner Reise zahlreiche Kurzgeschichten ein, die von der Metro handeln, lässt Gefühle laut werden und legt auch größten Wert auf die architektonischen Eigenheiten der unterirdischen Welten.


Die Gesprächsfetzen erzählen von kleinen Erlebnissen und philosophischen Gedanken, mal wird in der U-Bahn gelesen („ich mag es nicht, irgendwo anders zu lesen“), mal hört man Musik, vielfach ist der Blick unpersonalisiert mit Off-Stimmen, später kommen auch Gesichter dazu.

„Dass sich Menschen im blinden Vertrauen, rechtzeitig ihr Ziel zu erreichen, von einer mechanischen Raupe verschlucken lassen und nicht darüber nachdenken, wo genau sie sich unterhalb der Stadt bewegen, fasziniert mich“, so Novotny. „Der Weg ist nur auf optische Schaltpläne und Stationsnamen reduziert. Als Passagier ist man wie ein Koffer am Flughafen, der irgendwo rein- und irgendwo wieder rauskommt. Dennoch verspürt man dabei nicht den Hauch einer Angst.“

Ganz im Gegenteil, die U-Bahn sei für viele Menschen ein seliger Ort. Ein Ort der Entspannung, der Anonymität und der Freiheit. Auch für ihn selbst. „Gleichzeitig aber auch ein Ort der Menschenmassen, die zwar in die gleiche Richtung ziehen, die aber keine Notwendigkeit der Kommunikation sehen. Ein Ort also, bei dem man zusammen, aber auch allein ist.“

Ein solcher Ort der Entspannung ist für den Mitbegründer der Sofa Surfers im Übrigen das Café Rüdigerhof in Margareten. Auch, weil – wie könnte es anders sein – unmittelbar daneben die U4 verläuft, die dem Lokal ein urbanes Flair verleihe. „Außerdem hat dieses Haus etwas authentisch Altertümliches, auf den ersten Blick ist zu erkennen, dass hier schon seit Jahrzehnten nicht allzu viel verändert wurde.“ Wenn er hier sitze, wisse er, dass er in Wien ist. „Und wenn ich mich wie in New York fühlen will, beobachte ich an der Station Längenfeldgasse die U4 und U6, wie sie sich vereinen und wieder aufteilen“, sagt Novotny. „Wie die U6 von der U-Bahn zur Hochbahn wird, erinnert mich stark an Queens, wo die Linie Seven ebenfalls von unten nach oben fährt.“

Eine von zahlreichen Facetten der Stadt, um dessen Geschichte im Film es in seinem nächsten Projekt, „Wien war Moskau und Paris“, gehen wird. „Ich werde mich viel mit Archiven beschäftigen“, verrät der Regisseur. „Es wird um das Bild von Wien der letzten 100 Jahre gehen. Denn gerade im Dokumentarfilmbereich halte ich die Stadt für den spannendsten Schauplatz der Welt.“

Auf einen Blick

Großstadtgeschichten. Timo Novotny wurde 1973 in Böblingen in Deutschland geboren und studierte von 1994 bis 2000 Visuelle Mediengestaltung an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Nach mehreren preisgekrönten Musikvideos und Kurzfilmen drehte er 2006 seine erste abendfüllende Dokumentation, „Life in Loops – A Megacities Rmx“ (2006), basierend auf Michael Glawoggers „Megacities“. Sein neuer Film, „Trains of Thoughts“, über U-Bahn-Systeme in aller Welt kommt am Freitag ins Kino.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2012)

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