Wie streng muss man mit Holocaust-Vergleichen sein?

streng muss HolocaustVergleichen sein
streng muss HolocaustVergleichen sein(c) Dapd (Maja Hitij)
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Tarantino vergleicht die Sklaverei mit dem Holocaust – und keiner regt sich auf. Vielleicht weil Vergleich nicht automatisch Relativierung ist.

Oft sorgt es für Aufregung, wenn das Wort „Holocaust“ in Bezug auf ein anderes Ereignis verwendet wird als den Massenmord an den Juden durch das NS-Regime. Zumindest ist das in Deutschland und Österreich so. Deswegen meldeten die Medien auch gleich, was US-Filmemacher Quentin Tarantino bei einer Pressekonferenz in Berlin zu seinem neuen Film „Django Unchained“ sagte:

„Amerika ist für zwei Holocausts in seinem Land verantwortlich: für die Ausrottung der indianischen Ureinwohner und für die Versklavung von Afrikanern, Jamaikanern und Westindern in der Zeit des Sklavenhandels.“

Doch was geschah? Nichts, keine Proteste. Selbst bei größter Sorge um eine Relativierung des Holocaust wird offenbar nicht jeder Holocaust-Vergleich zum „Aufreger“. Vielleicht weil es auch für sehr Sensible eine Stufenleiter der Unzulässigkeit gibt: Vergleiche mit der Schlachtung von Tieren oder der Abtreibung (ganz zu schweigen von Worten wie „Bombenholocaust“ oder „Vertreibungsholocaust“) sind gewiss empörender als Vergleiche mit dem Quälen, Erniedrigen und Töten von Bevölkerungsgruppen.

Vielleicht herrscht auch die Einsicht, dass man wie jede sprachliche Äußerung auch diese hier nicht bewerten kann, ohne den Zusammenhang zu kennen. In diesem Fall wurde Tarantino nach Parallelen zwischen diesem Film und seinem im Zweiten Weltkrieg spielenden Film „Inglourious Basterds“ gefragt. Während Deutschland sich seit Jahrzehnten mit seiner Vergangenheit auseinandersetze bzw. dazu gezwungen werde, meinte Tarantino, gebe es kaum Filme, die die schwarzen Flecken in der US-Geschichte thematisieren würden.

Das Ziel von Tarantinos Vergleich bestand also offenbar darin, die Brutalität der Sklaverei zu zeigen – sowie die Tatsache, dass mindestens die filmische Aufarbeitung in den USA lächerlich mickrig ist im Vergleich zur Behandlung des wirklichen Holocaust. Und vielleicht ist es Tarantino auch wirklich ernst mit seinem Anliegen.

In Amerika fällt es ohnehin kaum auf, wenn das Schicksal der Indianer oder Sklaven als „Holocaust“ bezeichnet wird. Das zeigte erst vor wenigen Wochen eine Twitter-Nachricht von US-Regisseur Spike Lee, die Tarantino zu seiner Wortwahl inspiriert haben könnte. Die Sklaverei sei kein „Spaghetti-Western“ gewesen, beschwerte sich Lee über Tarantinos Film: „Das war ein Holocaust.“

Die Rede vom „indian“ und dem „black holocaust“ kursiert in den USA seit Jahrzehnten, auch unter Historikern. Berechtigt oder nicht, in den wenigsten Fällen hat sie eine rechtsextreme Schlagseite und impliziert eine Relativierung des Holocaust. Vielmehr dient das Wort als weltweit verständliche Chiffre, um eine furchtbare Massenvernichtung zu bezeichnen. Diese Verwendung des Worts kann auch als Gegenteil der Relativierung gesehen werden: Offenbar kann für viele Menschen kein anderes Wort so eindrücklich etwas unausdenkbar Schreckliches bezeichnen, das vielen, vielen Menschen widerfährt.

anne-catherine.simon@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2013)

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