Steppt der Berliner Bär plötzlich wieder?

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Jahrelang gab es in der Heimat einhelliges Lob für die Berliner Filmfestspiele, dann heftige Kritik. Heuer wird die Berlinale in deutschen Medien erheiternd widersprüchlich aufgenommen. Ein gutes Zeichen?

Erheiternd widersprüchlich lasen sich die deutschen Feuilletons mit ihren Vorabeinschätzungen zur Eröffnung der 63. Filmfestspiele Berlin. „Die Flaute der letzten Jahre scheint vorbei“, freute sich Cristina Nord in der „Taz“, während Tobias Kniebe in der „Süddeutschen Zeitung“ klagte, im elften Jahr von Direktor Dieter Kosslick habe die Berlinale „einen neuen Tiefpunkt erreicht“.

Nun ist diese Art von Vorab-Resümee zwar prinzipiell ein bisserl wie Kaffeesudlesen – es wird sich erst im Lauf der nächsten anderthalb Wochen wirklich zeigen, wie gut die heuer selektierten Berlinale-Filme tatsächlich sind. Aber die Diskrepanz der Einschätzungen erzählt doch etwas von der Krise der Berliner Filmfestspiele unter Kosslicks Leitung: Der standhafte Sozialdemokrat und vormalige Filmförderungs-Multifunktionär wurde 2001 in die Führungsposition der damals beim Renommee schon etwas angeschlagenen Berlinale gehievt, um für frischen Wind zu sorgen.

Ökonomisch und populistisch ging diese Rechnung eigentlich ganz gut auf: Der „European Film Market“ im Hintergrund des Festivals ist unbestreitbar ein wichtiger Wirtschaftsfaktor – und der kumpelhaft auftretende, notorisch kalauernde Showman Kosslick ist zur beliebten Berliner Lokalgröße geworden.

Direktor Kosslick vernachlässigte die Kunst

Indessen ging es jedoch mit der künstlerischen Qualität, vor allem des Wettbewerbs, steil bergab: Der in Kunstfragen eingestandenermaßen unbeleckte Kosslick privilegierte auch da die Wirtschaft, es war auffällig, dass die internationalen Beiträge der Konkurrenz zunehmend deutsche Ko-Produktionen waren. Und den Glamourfaktor: Stars um jeden Preis, auch den eines eigentlich horriblen Films. Auf Kritik reagierte er mit einem beliebten Lippenbekenntnis von Festivalleitern: Politische Themen und bewegende Inhalte seien wichtiger als jegliche Ästhetik. Er mache ja ein Publikumsfestival.

Rasch drohte die Berlinale zur internationalen Lachnummer zu werden, nur die deutschen Medien hielten ihr aus nationalem Pflichtbewusstsein lange die Stange. 2010 war es aber endgültig so arg, dass selbst daheim kritisches Wehklagen anhob. Seit dem Vorjahr ist daher eine Kurskorrektur Richtung Qualität spürbar, auch wenn Kosslick tut, als hätte sich nichts geändert. Doch die heurige Konkurrenz bietet wesentliche etablierte Namen wie US-Regisseur Gus Van Sant, den Österreicher Ulrich Seidl oder den iranischen Zensurfall Jafar Panahi. Und Hoffnungsträger wie den zuvor beharrlich ignorierten Deutschen Thomas Arslan (sein Western „Gold“ ist ein Goldbär-Geheimtipp für 2013) oder den Kanadier Denis Côté.

Daher Nords positive Einschätzung: Sie argumentiert cinephil für die artistisch anspruchsvolle Auswahl. Kniebes Verriss dagegen ist Populismus im elitären Gewand: Viele Prestigefilme der Berlinale wie der von Van Sant liefen schon in der Heimat – wo sei da der wahre Premierenglanz? In Cannes oder Venedig ginge das nicht. Faktisch falsch: Aki Kaurismäki etwa startet seine Filme auch vor der Cannes-Premiere in Finnland. Aber im Ansatz richtig: Bei den anderen Top-Festivals ist so etwas die Ausnahme, in Berlin fast schon eine Regel. Nur war das schon seit Kosslicks Anfangszeit nicht anders, was die deutsche Hofberichterstattung geflissentlich ignorierte. Wenn also ausgerechnet das nun zum Problem aufgebauscht wird, gibt es sonst offenbar keine größeren Beschwerden: Dann ist die Berlinale-Kehrtwende seit 2012 gelungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2013)

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