Regisseur Graf: Gewalt und Kinoleidenschaft

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Im Filmmuseum Wien stellt man ab Dominik Graf vor: Bis Sonntag präsentiert der deutsche Ausnahmeregisseur persönlich große Filme wie "Die Katze".

Während fast alles andere als Feststellung, Tatsache und demnach als Grabstein für das Kino daherkommt, sind die Filme dieses Regisseurs offen für alles, vor allem für neue Bedeutungsräume. Denn Dominik Graf inszeniert zum Beispiel so: Drei junge Menschen liegen am Flussufer, die Sonne strahlt auf ihre nackten, weißen Körper. Die zwei Burschen sind Internatsschüler, wie Graf früher selbst einer war: in ihrer Freiheit herausfordernd, mitunter gefährlich. Das Mädchen ist die Freundin des einen, gibt sich aber auch dem anderen hin. Riecht nach Beziehungskiste und ist auch eine. Doch mit dem feinen Unterschied, dass sie die im deutschen Kino sonst selbstverständlichen Grenzen zwischen Leben und Tod, Wirklichkeit und Fantasie auflöst in der harten Flächigkeit jener Digitalvideobilder, mit denen Graf 2002 „Die Freunde der Freunde“ erzählt hat.

Der Film basiert – den Konnex spürt man immerzu – auf einer Erzählung von Henry James aus der englischen Society des späten 19.Jahrhunderts. Meisterhaft verbindet Graf die klassischen Motive mit einer zeitgeistigen Digitalästhetik, die ideal erscheint, um das Geisterhaft-Somnambule zu transportieren.

Gefahr durch katholische Hysterie

Noch ein Beispiel: Eine junge Frau liegt im Bett, an Händen und Füßen klaffen Wunden, aus denen immer wieder Blut austritt. Diese Stigmata machen die Nonne Anna Katharina Emmerick, im westfälischen Dülmen darniederliegend, zur Heiligen und zur Gefahr: Der preußisch-protestantischen Armee kommt katholische Hysterie gänzlich ungelegen, wenn sie zu einer Stärkung jenes Glaubens führt, den sie eigentlich unterdrücken will. In diese Welt reist 1818 der Dichter Clemens Brentano: Dominik Grafs Historienfilm „Das Gelübde“ (2007) erzählt von seiner Begegnung mit der Nonne – und lässt von Anfang an offen, wie wahrhaftig die womöglich übersinnlichen Phänomene im Damals gewesen sind.

Zwei Beispiele, wie zufällig aus der Filmbiografie Dominik Grafs von über 60 Werken herausgegriffen. Sie lehren: Dieser Regisseur favorisiert die konkrete materielle Realität von Situationen gegenüber jeder Thesenhaftigkeit. Als Genrespezialist ist Graf bekannt (zuletzt etwa mit der Serie „Im Angesicht des Verbrechens“), alle seine Filme kreisen um Unwahrscheinliches, das durch seine Inszenierung wahrscheinlicher, letztlich zur einzig empfindbaren filmischen Realität wird.

Grafs im deutschen Gegenwartsfilm singuläre Karriere startete in den 80ern beim Fernsehkrimi (beeindruckend: seine Episoden von „Der Fahnder“), mit dem Thriller-Meisterwerk „Die Katze“ sorgte er 1988 für eine Erosion der Sicherheiten im deutschen Kino: Die Gaunergeschichte mit Star Götz George und der erotisch aufgeladenen Gudrun Landgrebe ließ die Utopie eines national erfolgreichen, international wettbewerbsfähigen Genrefilms am Erwartungshorizont auftauchen. Doch spätestens der kommerzielle Flop von Grafs großem, teuren Kinokrimi „Die Sieger“ (1994) zäunte seine Karriere effektiv ein, aber Graf war nicht mehr zu stoppen: Er arbeitete unaufhaltsam weiter, allerdings von da an vorwiegend im TV.

Bloß nicht schulmeisterlich arbeiten!

Das Universum, das Graf sich über Dekaden erarbeitet hat, ist auch insofern schwer fassbar, weil es eher einem leidenschaftlichen Zugang zum Kino entspringt: bloß nicht schulmeisterlich arbeiten, ja nicht in Kontakt kommen mit dem Kunstgewerbe und dessen ausgeronnenen Gefühlen. Aber da kann man Dominik Graf beruhigen: Sein Werk ist so unberechenbar, wendig und radikal wie großes Kino und so flott und effizient wie gute Unterhaltung sein soll. Die Unterscheidungen zwischen dem, was Bürokraten in Kunst und Kommerz einteilen wollen, sollte man hinter sich lassen, wenn man sich diesem uneitlen, charmanten Dissidenten des Gegenwartskinos hingibt. Mit Haut und Haaren. Es lohnt sich!

Eröffnung ist am Donnerstag, 19h, mit Präsentation des Buchs „Dominik Graf“ (Synema) von Olaf Möller und „Presse“-Kritiker Christoph Huber.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2013)

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