Film "Mama": Keine Nachricht aus dem Tal des Grauens

Film Mama Keine Nachricht
Film Mama Keine Nachricht(c) UPI
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Vor Andrés Muschiettis Gruselfilm "Mamá" kann man sich nicht richtig gruseln - schuld ist vor allem die Computeranimation, die den Zuschauer nicht an die Bedrohung glauben lässt.

Schon wieder Nachrichten aus dem unheimlichen Tal: Das „Uncanny Valley“, wie es der japanische Robotiker Masahiro Mori 1970 so sinnstiftend wie visionär postulierte, meint, dass künstliche Menschen als umso unwirklicher wahrgenommen werden, je näher sie den „Originalen“ kommen. Ein wahrnehmungspsychologischer Effekt, an dem sich nicht zuletzt Filmemacher seit vielen Jahren die Zähne ausbeißen. Es ist nämlich immer noch so, dass jeder vermittels analoger Prothesentechnik verunstaltete Mensch weitaus überzeugender wirkt als eine im Computer berechnete und objektiv sicherlich weitaus perfektere Kreatur. Womit wir bei „Mamá“ wären, dem Langfilmdebüt des Spaniers Andrés (im Titelvorspann: Andy) Muschietti, der in genau diesem unheimlichen Tal stecken bleibt.

Aber von vorne: 2008 begeistert Muschietti mit seinem dreiminütigen Kurzfilm „Mamá“ auf internationalen Filmfestivals: Es ist die Geschichte von zwei Mädchen, die von der titelgebenden Kreatur durch ein Haus gejagt werden. Irgendwie, irgendwann, irgendwo schafft es Muschietti, dass Guillermo del Toro auf seine Grusel-Miniatur aufmerksam wird. Der mexikanische Erfolgsregisseur, der mit Erwachsenenmärchen wie „Pans Labyrinth“ Kritik und Publikum gleichermaßen begeisterte, findet so großen Gefallen an „Mamá“, dass er sich für eine Langfilm-Adaption des Stoffs starkmacht – und sie auch gleich mit produziert. 15 Millionen Dollar Budget erhält Muschietti dafür: Und nicht wenig davon dürfte in die digitalen Effekte geflossen sein.

Verwilderte Mädchen

Am Anfang steht ein Autounfall, nach dem sich die beiden Mädchen Lilly und Victoria in einer Waldhütte verstecken. Fünf Jahre später hat ihr Onkel Lucas (Nikolaj Coster-Waldau) die Hoffnung noch nicht aufgegeben, sie eines Tages wiederzusehen. Er bezahlt zwei ortskundige Jäger, bei ihren Waldwanderungen nach Lebenszeichen der Kinder Ausschau zu halten. Sie stoßen auf die Hütte und finden darin die vollkommen verwilderten Mädchen, die sich auf allen Vieren vorwärts bewegen und die menschliche Sprache verlernt oder, im Fall der jüngeren Lilly, gar nicht erst erlernt haben. Nach langen Gesprächen mit dem Kinderpsychiater Dr. Dreyfus willigt Lucas' Freundin Annabel (Jessica Chastain) schließlich ein, mit den Mädchen in ein großes Einfamilienhaus zu ziehen und zu versuchen, ein möglichst normales Leben zu führen. Die junge Frau, die mehr und mehr zur Ersatzmutter wird, merkt aber sehr bald, dass noch jemand, oder noch etwas mit ihnen umgezogen ist.

Diese „Mamá“, der Geist einer vor vielen Jahrzehnten verstorbenen Frau, soll das zentrale Ereignis in Muschiettis Schauerfilm sein. Ganz im Gegenteil aber wirkt die digital animierte Kreatur, die mit ihren wehenden schwarzen Haaren und ruckartigen, unnatürlichen Bewegungsabläufen stark an Geisterwesen aus japanischen Horrorfilmen erinnert, nicht nur zu fantastisch, um wirkliches Grauen auszulösen, sie passt auch nicht zum ästhetischen Konzept des Films. Muschietti setzt auf Schattenbilder und starke Kontraste, vertraut auf subtile Spannungsmomente und nuanciertes Schauspiel, klopft die Atmosphäre dann aber mit seiner digitalen Geisterbahnkreatur kaputt. Das Phänomen des „Uncanny Valley“ bringt „Mamá“ zu Fall. Wenn das Publikum nicht an die Bedrohung glauben kann, funktioniert die Dramaturgie nicht, greifen die Spannungsschrauben nicht, wünscht man sich einfach in ein Jahrzehnt zurück, in dem diese „Mamá“ noch von einer Schauspielerin dargestellt worden wäre. Einer Tänzerin vielleicht, die sich schnell und unerwartet bewegen kann. Da kommt sie schon: die Gänsehaut.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2013)

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