Der große Gatsby in Disneyworld

Ein Strahlemann, der eigentlich ein Verlorener ist, und seine unvergessene Liebe: Leonardo DiCaprio als Gatsby und Carey Mulligan als seine Daisy.
Ein Strahlemann, der eigentlich ein Verlorener ist, und seine unvergessene Liebe: Leonardo DiCaprio als Gatsby und Carey Mulligan als seine Daisy.(c) Warner
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Leonardo DiCaprio nicht als neureicher Narr, sondern als beneidenswerter Anzugträger: Mit der Neuverfilmung von Fitzgeralds Romanklassiker lädt Baz Luhrmann auf einen Musikvideo-Jahrmarkt. Ab Freitag.

Dass F. Scott Fitzgeralds gefeierter Roman „Der große Gatsby“ trotz mehrerer Versuche als unverfilmbar gilt, ist nachvollziehbar – und doch verblüffend: Denn das zunächst gar nicht so erfolgreiche, aber bald gefeierte Buch liest sich in vieler Hinsicht wie ein Film. Als Hintergrund dient die visuell spektakuläre Prohibitionszeit mit den wilden Partys des „Jazz Age“ der 1920er, das schon damals Hollywoods Kinoträume beflügelte, es gibt eine tragische Liebesgeschichte unter schönen reichen Menschen – und zum Drüberstreuen noch eine Handvoll dramatischer Szenen (rauschende Feste, ein Autounfall mit Fahrerflucht, ein Mord).

Die fein ziselierte Konstruktion, die einige Überarbeitungen erforderte, zeigt auch, dass Fitzgerald zu einer neuen Autorengeneration gehörte, die mit Film und Fotografie aufgewachsen war: Viele Szenen bleiben wie Momentaufnahmen im Kopf hängen.

Tragödie eines Zeitenwandels

„Action is character“, hieß es später in Fitzgeralds unvollendet gebliebenem Roman „Der letzte Tycoon“, aber das wahre Herz von „Der große Gatsby“ schlägt eigentlich in dem, was zwischen den Ereignissen liegt, dank Fitzgeralds eleganten Prosastils: „Die Szenen sind so vollendet ausgeführt, die Beschwörung der Empfindungen ist so delikat, die Sprache so geschichtet“, begeisterte sich Erfolgsautor Haruki Murakami letzte Woche in einer Erklärung, warum er seinen Lieblingsroman auf Japanisch neu übersetzt hat.

Tatsächlich ist die wahre Tragödie des Buchs aber nicht jene des neureichen Narren Gatsby, der mit grenzenlosem Optimismus glaubt, seine unvergessene Jugendliebe mit Prunk zurückkaufen zu können, sondern die des Zeitenwandels. Hinter Fitzgeralds visionärem Bild einer Epoche, die durch technische Innovationen wie Automobile und Telefone als rapide beschleunigt erlebt wurde, liegt ein Abgesang auf den ursprünglichen Amerikanischen Traum, dessen Ideale von den schnellen und oft falschen Versprechungen der Finanzspekulation und der Konsumkultur abgelöst wurden.

Die Essenz und Leichtigkeit des dünnen Buchs sind schwer zu fassen, das belegt die bekannteste, nobel gescheiterte Verfilmung mit Robert Redford als Gatsby von 1974: eng an der Vorlage hinterließ sie trotz opulenter Ausstattung und feinen „Roaring Twenties“-Soundtracks ein Gefühl der Leere. Die „filmischsten“ Symbole des Romans wie Gatsbys Handgriff nach dem grünen Licht am Pier, das seine geliebte Daisy – so nah, so fern – symbolisiert oder die Optikerwerbung mit den gigantischen Brillengläsern, die alles überwachen, wirkten auf der Leinwand plötzlich banal und überladen. Der Rest war, als hätte man zur fernen Musikbegleitung ein Fotoalbum durchgeblättert: Es fehlte Fitzgeralds spezieller Ton, um die Bilder wirklich zum Klingen zu bringen.

Hip-Hop-Stakkato mit Ausdruckstanz

Wo der alte Film bestenfalls eine ferne Legende zu raunen schien, packt einen nun Baz Luhrmanns Neuverfilmung „Der große Gatsby“ beim Kragen, um einem die Handlung ins Ohr zu brüllen, als Hip-Hop-Stakkato mit Ausdruckstanz-Choreografie. Jeder Autoausflug kommt jetzt daher wie ein Formel-1-Rennen, überhaupt ist Luhrmanns Manhattan der 1920er ein künstlicher Musikvideo-Jahrmarkt wie zuletzt die Belle Epoque in seinem Musical „Moulin Rouge“.

Das bevorzugte Metier des australischen Regisseurs ist Design: Orgiastische Gelage zu Techno-Beats und digital auffrisierte Kamerafahrten rund um Prada-Kleider-Paraden scheinen die erste Stunde des Films zu füllen. Man fühlt sich weniger in einer Literaturverfilmung als auf der „Goldene Zwanziger“-Themenparty der versammelten Besetzungen von „High School Musical“ und „Gossip Girl“. Gatsbys üppige Villa ist nicht mehr wie das mit Partys belebte Geisterhaus aus der Redford-Verfilmung, sondern wie das Dornröschenschloss aus Disneyworld.

Auch das Mysterium um Gatsby selbst büßt an Kraft ein, obwohl Luhrmann zu seinem ersten Auftritt buchstäblich ein Feuerwerk abbrennt. Leonardo DiCaprio wirkt im Umfeld fast wieder teenagerhaft, bis sich der Regisseur irgendwann in der Mitte besinnt, dass er eigentlich Fitzgerald verfilmt. Dann übersteuert er das Melodrama noch immer hemmungslos, aber wenigstens im Sinne des Autors: DiCaprio fängt durchaus etwas von der Essenz der Figur ein – ein Strahlemann, der doch ein Verlorener ist. Was Gatsby an seiner oberflächlichen Daisy findet, ist ein Rätsel, das selbst Fitzgerald nicht lösen konnte, aber Carey Mulligan spielt sie reizvoller als 1974 eine fehlbesetzte Mia Farrow.

Das Problem ist aber Luhrmanns Zugang, darauf verweist schon die schwachsinnige Rahmenhandlung, mit der die Erzählung durch Gatsbys schließlich einzigen Freund, Nick Carraway (Tobey Maguire), realistisch motiviert werden soll, wo ohnehin alles nur pompöse Überhöhung ist – und ein Missverständnis: Luhrmann scheint sich weniger mit Fitzgerald und dessen Erzähler Carraway zu identifizieren, die die Geschichte auf eine andere Ebene heben. Sondern ganz banal mit Gatsby selbst: Hauptsache der Champagner fließt und die Anzüge sitzen, dann kann man auch in Schönheit sterben. Eine Reflexion über Amerikas „Produktion“ hat Fitzgerald sein Buch genannt: Luhrmanns Verfilmung reflektiert nicht, sondern produziert sich selbst – ein amoklaufender Werbeprospekt für die eigenen Schauwerte mit einem Schuss Fitzgerald.

Cannes eröffnet mit Gatsby

Mit „The Great Gatsby“ werden morgen, Mittwoch, am Abend außer Konkurrenz die Filmfestspiele von Cannes (15. bis 26.Mai) eröffnet. Im Bewerb laufen u.a. neue Filme von Roman Polanski, Nicolas Winding Refn, Jim Jarmusch und den Coen-Brüdern, in der Jury unter dem Vorsitz von Steven Spielberg sitzt auch der österreichische Schauspieler Christoph Waltz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2013)

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