Cannes-Jury mit Waltz: Prestige und Vorurteil

CannesJury Waltz Prestige Vorurteil
CannesJury Waltz Prestige Vorurteil(c) REUTERS (ERIC GAILLARD)
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Präsident Steven Spielberg stellte seine Jury vor: Christoph Waltz erwartet Gespräche „wie eine Psychoanalyse“.

Die Titelseite der „Liberation“ grüßt am Eröffnungstag der Filmfestspiele von Cannes den Jurypräsidenten mit der Zeile „Spielberg Superstar“. Es gilt als Coup, dass Hollywoods populärster Regisseur die Jury von Cannes leitet: Zum letzten Mal war er 1974 in einer Jury. Warum er so lange abgelehnt habe, lautet auch gleich die erste Frage bei der Pressekonferenz. Lächelnd erwidert Spielberg, er habe eben ständig gearbeitet: Dass sich heuer die Chance ergeben habe, würde er als Glücksfall sehen.

Die jährliche Jury-Pressekonferenz am Eröffnungsnachmittag des Festivals ist ein Ritual und eine Lektion in Diplomatie: Noch sind keine Filme gesehen worden, was bleibt den Juroren übrig außer zu versichern, dass man sich geehrt fühle, auf die Aufgabe freue und so ehrlich und herzlich wie möglich entscheiden will? Es wird immer viel gelächelt und freundlich, ohne Druck parliert.

Waltz wurde als „Christopher“ vorgestellt

Der österreichische Schauspieler Christoph Waltz nimmt also einfach hin, dass er als „Christopher Waltz“ angekündigt wird. Später ist er der Einzige unter neun Jurymitgliedern, der sich einen wirklichen Scherz erlaubt. Was es für ein Gefühl sei, nach Cannes zurückzukehren, nachdem er letztes Mal für „Inglourious Basterds“ den Darstellerpreis erhalten habe? „Ich muss zugeben, als ich die Stufen hinaufging für den Foto-Call und jetzt in den Pressekonferenzraum, da habe ich vergessen, dass ich in der Jury bin. Die Erinnerung ist noch zu stark“, sagt Waltz und setzt gleich verschmitzt nach: „Aber ich verspreche, ich werde mich bemühen, in den nächsten Tagen daran zu denken!“

„Wir sind eine multikulturelle Truppe“, charakterisiert Spielberg seine Jury, in der Stars wie Nicole Kidman und Daniel Auteuil, aber auch die indische Schauspielerin Vidya Balan oder die japanische Regisseurin Naomi Kawase sitzen, „doch wir sprechen alle die Sprache des Kinos.“ Hat Spielberg beim ersten Jurydinner am Vorabend Richtlinien ausgegeben? Natürlich nicht! „Es ist schwierig, über Filme zu urteilen, man weiß ohnehin erst nach ein paar Jahren, ob sie wirklich gut sind“, sagt der rumänische Regisseur Cristian Mungiu, Cannes-Sieger von 2007: „Aber der Preis hilft bei der Promotion.“

Der US-taiwanesische Filmemacher Ang Lee merkt leise an, die Meinung von neun Leuten habe keinen absoluten Wert: „Im Wettbewerb geht es nur um Vorurteile – und Prestige.“ Immerhin künstlerischer als die Oscars: Das sei nur ein Popularitätswettbewerb. Spielberg stimmt zu: „In den USA geht es nur um Kampagnen, ob Oscars oder Präsidentenwahlen. Hier nicht – gut so!“

Ab Donnerstag sieht die Jury 20 Filme, von US-Größen wie den Coen-Brüdern („Inside Llewyn Davis“ über New Yorks Sixties-Musikszene) oder Steven Soderbergh („Behind the Candelabra“ mit Michael Douglas als Liberace), dazu Euro-Koproduktionen wie einen französischen „Michael Kohlhaas“ oder asiatisches Kino wie Takashi Miikes Thriller „Shield of Straw“. Schon ein bisserl wie Äpfel mit Orangen zu vergleichen, gibt Spielberg zu, aber in den Kinos seien die Filme vom Blockbuster zum Kunstexperiment auch im Wettbewerb: um das Publikum. Die Jurytätigkeit, resümiert Waltz, stelle er sich wie eine erfolgreiche Psychoanalyse vor: So wie Analytiker und Patient im Gespräch zusammenkämen, erwarte er sich Jurorendebatten über das Kino – auf hohem Niveau.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2013)

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